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Linus Geisler: INNERE MEDIZIN © 1969/1999 W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart Berlin Köln 
2.3.9  Hypertonie
2.3.9.1 Allgemeines
2.3.9.2 Ursachen
 
2.3.9  Hypertonie _____
2.3.9.1 Allgemeines _____
Definition: Eine Hypertonie (Bluthochdruck) besteht, wenn unabhängig vom Lebensalter Blutdruckwerte > 160/90 mm Hg vorliegen.
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Die Hypertonie ist wahrscheinlich die häufigste Erkrankung des Menschen. Eine Hypertonie wird bei 5-10% aller Menschen und bei ca. 20% der über 40-Jährigen gefunden. Während die essentielle Hypertonie früher vorwiegend als hämodynamische Störung angesehen wurde, sprechen neuere Erkenntnisse dafür, dass es sich um eine zum Teil genetisch bedingte metabolische Erkrankung handelt, da die Hypertonie überzufällig häufig kombiniert mit Übergewicht, Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörungen oder einer sog. Insulinresistenz, d.h. einer gestörten Glukoseverwertung in der Skelettmuskulatur bei gleichzeitig erhöhten Insulinspiegeln im Blut (Hyperinsulinämie) einhergeht. Eine umfassende Hochdrucktherapie muss also auch diese metabolischen Störungen mitberücksichtigen. Die Dunkelziffer der Hypertonie ist allerdings sehr hoch. Vorkommen
und Häufigkeit
Nach den Empfehlungen der Deutschen Liga zur Bekämpfung des hohen Blutdrucks ist folgende Einteilung der Hypertonie klinisch nach Schweregraden am sinnvollsten: Hypertonieformen 
und Schweregrade
•  Grenzwerthypertonie: Blutdruckwerte systolisch 130-150 mm Hg und/oder diastolisch 85-90 mm Hg.
•  Labile Hypertonie: Die Blutdruckwerte sind zeitweise eindeutig erhöht und zeitweise normal.
•  Stabile Hypertonie: Der Blutdruck liegt bei allen Messungen systolisch über 160 mm Hg und/oder diastolisch über 95 mm Hg.
•  Maligne Hypertonie: Der diastolische Blutdruck liegt ständig über 120 mm Hg, und am Augenhintergrund sind schwere Veränderungen nachweisbar, z.B. Exsudate, Blutungen oder ein Papillenödem (Ödem im Bereich des Sehnerveneintritts).

Einteilung
Es besteht eine enge Korrelation zwischen Lebenserwartung und Höhe des systolischen und diastolischen Blutdrucks.
Die Lebenserwartung eines 35-Jährigen Mannes mit normalem Blutdruck beträgt 76 Jahre. Eine Blutdruckerhöhung auf 140/95 mm Hg verkürzt die Lebenserwartung um neun Jahre, ein Blutdruck von 150/100 mm Hg bereits um sechzehn Jahre. Nicht zu Unrecht wird im Amerikanischen deswegen die Hypertonie als "silent killer" bezeichnet. Beispiel
Übersicht 20: Einteilung der Hypertonie nach der Ursache
I. Primäre oder essentielle Hypertonie (ca. 90-95% der Fälle)
II. Sekundäre Hypertonie (ca. 5-10% der Fälle)
1. Renale Hypertonie
a)  Renoparenchymale Hypertonie (Hochdruck infolge Erkrankungen des Nierengewebes); z.B. Glomerulonephritis, interstitielle Nephritis, Zystennieren.
b)  Renovaskuläre Hypertonie (Hochdruck durch Erkrankungen der Nierengefäße): z.B. Nierenarterienstenose, Niereninfarkt, Erkrankungen der großen und kleinen Nierengefäße.
c)  Hypertonie bei Nierentumoren.
2. Endokrine Hypertonie
a) Phäochromozytom
b) Cushing-Syndrom
c) Hyperthyreose
3. Aortenisthmusstenose
Übersicht 20
Nicht selten wird die Hypertonie nur zufällig entdeckt und verursacht keine Beschwerden. In anderen Fällen klagen die Patienten über Kopfschmerzen, insbesondere am Morgen, Schwindel und Atemnot als Ausdruck von Frühzeichen der beginnenden Linksherzinsuffizienz. Das Aussehen beim benignen Hochdruck ist meist gut, die Gesichtsfarbe ist rot und frisch ("roter Hochdruck"). Bei maligner Hypertonie, vor allem bei gleichzeitiger schwerer Nierenerkrankung, sind die Patienten häufig blass ("blasser Hochdruck"). Die Gesichtsfarbe kann aber keineswegs zur sicheren Unterscheidung maligne - benigne oder primäre - sekundäre Hypertonie herangezogen werden. Die Hypertonie ist häufig kombiniert mit Übergewicht, Diabetes mellitus Typ II und Hyperlipoproteinämie. Klinisches Bild
2.3.9.2 Ursachen
Sind alle Ursachen einer sekundären Hypertonie ausgeschlossen, kann eine primäre Hypertonie angenommen werden. Die essentielle (primäre) Hypertonie manifestiert sich meistens zwischen dem 35. und 50. Lebensjahr. Eine Hypertonie, die sich vor dem 30. Lebensjahr entwickelt, ist fast immer eine sekundäre Hypertonie. Familiär-erbliche Einflüsse spielen bei ihrer Entstehung sicherlich eine Rolle. Die eigentliche Entstehungsursache ist nicht bekannt. Möglicherweise spielen Störungen im Salz- und Wasserhaushalt ätiologisch eine Rolle. Bezüglich der Pathogenese weiß man, dass über den Sympathikusnerven eine Engerstellung der Arteriolen ausgelöst wird, die zu einer Widerstandserhöhung im großen Kreislauf und so zur Hypertonie führt. Ursachen der
primären Hypertonie
Merke: Die eigentliche Bedeutung der Hypertonie besteht in den zahlreichen hochdruckbedingten Komplikationen, die sich letztlich alle darauf zurückführen lassen, dass sie die Arteriosklerose erheblich fördert. Hochdruckkomplikationen sind daher vorwiegend Gefäßkomplikationen.
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Abb. 22: Ursachen der Hypertonie
Abb. 22 (klein)
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Abb. 22
Folgeerscheinungen der Hypertonie
•  Herz: Der Hypertonus führt zu einer Überbelastung des linken Ventrikels und zur Linksherzhypertrophie. Da der hypertrophierte linke Ventrikel mehr arbeiten muss und folglich mehr Sauerstoff verbraucht und zusätzlich häufig gleichzeitig eine Koronarsklerose vorliegt, verschlechtert sich seine Sauerstoffversorgung (hypertensive Herzkrankheit). Die Folgen sind Herzinfarkt und Linksherzinsuffizienz. Der Herzinfarkt stellt die häufigsten Todesursache bei Hypertonikern dar! Bis zu 70% der Herzinfarktpatienten haben eine Hypertonie; auch ist der Infarktverlauf bei Hypertonikern ungünstiger als bei normotensiven Patienten. Das Vorliegen einer Linksherzhypertrophie stellt eine prognoseverschlechternde Folgeerscheinung für hypertone Patienten dar, weil sich das Risiko, einen plötzlichen Herztod zu erleiden, einen Herzinfarkt oder Hirninfarkt zu bekommen oder eine Linksherzinsuffizienz zu entwickeln, auf das 5-7fache erhöht.
•  Nieren: Bei der Nierenbeteiligung ist zwischen der benignen arteriosklerotischen und der malignen arteriosklerotischen Nephrosklerose zu unterscheiden. Letztere kann zur arteriolosklerotischen Schrumpfniere mit Niereninsuffizienz führen.
•  Gehirn: Die Arteriosklerose der Hirngefäße als Hochdruckfolge ist häufig Ursache von Apoplexen (Schlaganfällen), induziert entweder durch eine Massenblutung im Gehirn oder durch Hirninfarkte. Ein Drittel der Todesfälle im Rahmen eines bestehenden Hypertonus beruht auf Schlaganfällen.
•  Arterielle Verschlusskrankheit (s. Kap. 2.3.11.1Link)
•  Auge: Hypertoniebedingte Veränderungen und Schäden der Netzhaut sind Blutungen, Netzhautherde oder in schwersten Fällen ein Ödem an der Sehnervenaustrittsstelle (Papillenödem). Daher ist bei jedem Hypertoniker eine regelmäßige Untersuchung des Augenhintergrundes (Fundoskopie) erforderlich.
Abb. 23: Komplikationen und Folgekrankheiten der arteriellen Hypertonie (modifiziert nach F. Herrmann)
Abb. 23
Abb. 23
Als hypertensiver Notfall wird eine akut lebensbedrohliche Situation durch eine plötzliche hypertensive Krise oder allmählich starken Blutdruckanstieg bezeichnet. Die Patienten sind durch folgende Komplikationen gefährdet:
  Herzinfarkt,
  akutes Linksherzversagen (Lungenödem),
  Schlaganfall (Apoplexie),
  hypertensive Enzephalopathie,
  Dissektion eines Aortenaneurysmas.
Hypertensive Krise
Klinisches Bild und Komplikationen der sekundären Hypertonie sind mit denen der primären Hypertonie identisch.
Der amerikanische Arzt GOLDBLATT konnte 1934 im Tierversuch klären, wie Nierenkrankheiten zur Hypertonie führen. Drosselte er eine Nierenarterie oder engte er eine Niere durch straffe Umhüllung mit Cellophan ein, so trat ein Hochdruck auf, der sich in beiden Fällen durch eine Minderdurchblutung der Niere erklären läßt. Dabei wird in den Zellen des sogenannten juxtaglomerulären Apparates der Niere eine Substanz, das Renin, vermehrt gebildet und in die Blutbahn abgegeben. Unter dem Einfluß von Renin wird das in der Leber produzierte Angiotensinogen in Angiotensin I umgewandelt. Durch das Angiotensin converting enzyme (ACE) entsteht aus Angiotensin I das stark blutdrucksteigernde Angiotensin II. Es entfaltet seine blutdrucksteigernde Wirkung durch eine starke Verengung der Arteriolen mit Erhöhung des peripheren Gefäßwiderstandes. Außerdem stimuliert Angiotensin II die Sekretion des Nebennierenrindenhormons Aldosteron. Dieses wiederum wirkt über eine Retention von Wasser und Natrium ebenfalls blutdrucksteigernd. Das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System ist demnach für die Blutdruckregulation von großer Bedeutung. Die blutdrucksenkende Wirkung von sog. ACE-Hemmern ist über den hier geschilderten Mechanismus zu erklären.
Sekundäre
Hypertonieformen:
renale Hypertonie
Ist eine Nierenarterie z.B. durch eine arteriosklerotische Wandschädigung oder eine angeborene Missbildung eingeengt, so kann auf diese Weise eine renovaskuläre Hypertonie entstehen. Die Diagnostik solcher Stenosen ist mittels Arteriographie möglich. Ist das Nierenparenchym erkrankt (renoparenchymaler Hochdruck), z.B. bei einer chronischen Pyelonephritis oder Glomerulonephritis, oder liegen ausgedehnte Zystennieren vor, findet sich häufig ein Hypertonus, dessen Schwere mit dem Schwund an Nierengewebe in etwa parallel verläuft.
Beim renalen Hochdruck ist unter Umständen eine operative Behandlung möglich: Besteht die Nierenarterienstenose noch nicht zu lange, kann sie mittels Ballondilatation (Angioplastie) oder operativ beseitigt werden. Dies führt in ca. zwei Drittel der Fälle zur Blutdrucknormalisierung.
Bei Erkrankungen der Nebennierenrinde, z.B. im Rahmen eines M. Cushing oder bei Nebennierenrindentumoren mit vermehrter Aldosteronbildung wie beim sog. Conn-Syndrom, tritt in etwa 90% eine Hypertonie auf. Bestimmte, meist (90%) gutartige Tumoren des Nebennierenmarks, sog. Phäochromozytome, bilden große Mengen an Noradrenalin und Adrenalin, die über eine Sympathikusaktivierung einen - manchmal anfallsartig auftretenden - Hochdruck bewirken können. In allen diesen Fällen muss operiert werden. Endokrine Hypertonie
In dieser Gruppe ist der Hochdruck bei Aortenisthmusstenose am wichtigsten, da er auf einer operativ korrigierbaren Missbildung der Aorta beruht. Bei Aorteninsuffizienz und beim totalen AV-Block kommen mäßig erhöhte Blutdruckwerte mit großer Blutdruckamplitude als Folge des erhöhten Schlagvolumens vor. Kardiovaskuläre
Hypertonie
In seltenen Fällen können Ovulationshemmer eine Hypertonie auslösen, die jedoch meist, aber keineswegs immer, 4-8 Wochen nach Absetzen des Präparates wieder abklingt. Zum Zusammenhang zwischen Schwangerschaft und Hypertonie s. Kap. 13.4.13.
Ovulationshemmer
und Hypertonie
Eine zentrale Hypertonie ist selten; sie wird gelegentlich bei entzündlichen Erkrankungen des Zentralnervensystems (auch bei Poliomyelitis) und bei Vergiftungen (z.B. Thalliumvergiftung) beobachtet. Zentrale Hypertonie
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Linus Geisler: INNERE MEDIZIN. 17. vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, Stuttgart Berlin Köln
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