2.3.9
Hypertonie |
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2.3.9.1
Allgemeines |
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Definition: Eine
Hypertonie (Bluthochdruck) besteht, wenn unabhängig vom Lebensalter
Blutdruckwerte > 160/90 mm Hg vorliegen. |
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Die Hypertonie ist wahrscheinlich
die häufigste Erkrankung des Menschen. Eine Hypertonie wird
bei 5-10% aller Menschen und bei ca. 20% der über 40-Jährigen
gefunden. Während die essentielle Hypertonie früher vorwiegend
als hämodynamische Störung angesehen wurde, sprechen neuere Erkenntnisse
dafür, dass es sich um eine zum Teil genetisch bedingte metabolische
Erkrankung handelt, da die Hypertonie überzufällig häufig
kombiniert mit Übergewicht, Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörungen
oder einer sog. Insulinresistenz, d.h. einer gestörten Glukoseverwertung
in der Skelettmuskulatur bei gleichzeitig erhöhten Insulinspiegeln
im Blut (Hyperinsulinämie) einhergeht. Eine umfassende Hochdrucktherapie
muss also auch diese metabolischen Störungen mitberücksichtigen.
Die Dunkelziffer der Hypertonie ist allerdings sehr hoch. |
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Vorkommen
und Häufigkeit |
Nach den Empfehlungen der
Deutschen Liga zur Bekämpfung des hohen Blutdrucks ist folgende Einteilung
der Hypertonie klinisch nach Schweregraden am sinnvollsten: |
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Hypertonieformen
und Schweregrade |
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Grenzwerthypertonie:
Blutdruckwerte systolisch 130-150 mm Hg und/oder diastolisch 85-90 mm Hg. |
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Labile Hypertonie:
Die Blutdruckwerte sind zeitweise eindeutig erhöht und zeitweise normal. |
• |
Stabile Hypertonie:
Der Blutdruck liegt bei allen Messungen systolisch über 160 mm Hg
und/oder diastolisch über 95 mm Hg. |
• |
Maligne Hypertonie:
Der diastolische Blutdruck liegt ständig über 120 mm Hg, und
am Augenhintergrund sind schwere Veränderungen nachweisbar, z.B. Exsudate,
Blutungen oder ein Papillenödem (Ödem im Bereich des Sehnerveneintritts). |
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Einteilung |
Es besteht eine enge Korrelation
zwischen Lebenserwartung und Höhe des systolischen und diastolischen
Blutdrucks. |
Die Lebenserwartung eines
35-Jährigen Mannes mit normalem Blutdruck beträgt 76 Jahre. Eine
Blutdruckerhöhung auf 140/95 mm Hg verkürzt die Lebenserwartung
um neun Jahre, ein Blutdruck von 150/100 mm Hg bereits um sechzehn Jahre.
Nicht zu Unrecht wird im Amerikanischen deswegen die Hypertonie als "silent
killer" bezeichnet. |
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Beispiel |
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Übersicht 20:
Einteilung der Hypertonie nach der Ursache
I. Primäre oder essentielle
Hypertonie (ca. 90-95% der Fälle)
II. Sekundäre Hypertonie
(ca. 5-10% der Fälle)
1. Renale Hypertonie
a) |
Renoparenchymale Hypertonie
(Hochdruck infolge Erkrankungen des Nierengewebes); z.B. Glomerulonephritis,
interstitielle Nephritis, Zystennieren. |
b) |
Renovaskuläre Hypertonie
(Hochdruck durch Erkrankungen der Nierengefäße): z.B. Nierenarterienstenose,
Niereninfarkt, Erkrankungen der großen und kleinen Nierengefäße. |
c) |
Hypertonie bei Nierentumoren. |
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2. Endokrine Hypertonie
a) Phäochromozytom |
b) Cushing-Syndrom |
c) Hyperthyreose |
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3. Aortenisthmusstenose |
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Übersicht
20 |
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Nicht selten wird die Hypertonie
nur zufällig entdeckt und verursacht keine Beschwerden. In anderen
Fällen klagen die Patienten über Kopfschmerzen, insbesondere
am Morgen, Schwindel und Atemnot als Ausdruck von Frühzeichen
der beginnenden Linksherzinsuffizienz. Das Aussehen beim benignen
Hochdruck ist meist gut, die Gesichtsfarbe ist rot und frisch ("roter Hochdruck").
Bei maligner Hypertonie, vor allem bei gleichzeitiger schwerer Nierenerkrankung,
sind die Patienten häufig blass ("blasser Hochdruck"). Die Gesichtsfarbe
kann aber keineswegs zur sicheren Unterscheidung maligne - benigne oder
primäre - sekundäre Hypertonie herangezogen werden. Die Hypertonie
ist häufig kombiniert mit Übergewicht, Diabetes mellitus Typ
II und Hyperlipoproteinämie. |
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Klinisches
Bild |
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2.3.9.2
Ursachen |
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Sind alle Ursachen einer
sekundären Hypertonie ausgeschlossen, kann eine primäre Hypertonie
angenommen werden. Die essentielle (primäre) Hypertonie manifestiert
sich meistens zwischen dem 35. und 50. Lebensjahr. Eine Hypertonie, die
sich vor dem 30. Lebensjahr entwickelt, ist fast immer eine sekundäre
Hypertonie. Familiär-erbliche Einflüsse spielen bei ihrer Entstehung
sicherlich eine Rolle. Die eigentliche Entstehungsursache ist nicht bekannt.
Möglicherweise spielen Störungen im Salz- und Wasserhaushalt
ätiologisch eine Rolle. Bezüglich der Pathogenese weiß
man, dass über den Sympathikusnerven eine Engerstellung der Arteriolen
ausgelöst wird, die zu einer Widerstandserhöhung im großen
Kreislauf und so zur Hypertonie führt. |
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Ursachen
der
primären Hypertonie |
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Merke: Die eigentliche
Bedeutung der Hypertonie besteht in den zahlreichen hochdruckbedingten
Komplikationen, die sich letztlich alle darauf zurückführen lassen,
dass sie die Arteriosklerose erheblich fördert. Hochdruckkomplikationen
sind daher vorwiegend Gefäßkomplikationen. |
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Abb.
22: Ursachen der Hypertonie
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Abb.
22 |
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Folgeerscheinungen der
Hypertonie
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Herz: Der Hypertonus
führt zu einer Überbelastung des linken Ventrikels und zur Linksherzhypertrophie.
Da der hypertrophierte linke Ventrikel mehr arbeiten muss und folglich
mehr Sauerstoff verbraucht und zusätzlich häufig gleichzeitig
eine Koronarsklerose vorliegt, verschlechtert sich seine Sauerstoffversorgung
(hypertensive Herzkrankheit). Die Folgen sind Herzinfarkt und Linksherzinsuffizienz.
Der Herzinfarkt stellt die häufigsten Todesursache bei Hypertonikern
dar! Bis zu 70% der Herzinfarktpatienten haben eine Hypertonie; auch ist
der Infarktverlauf bei Hypertonikern ungünstiger als bei normotensiven
Patienten. Das Vorliegen einer Linksherzhypertrophie stellt eine prognoseverschlechternde
Folgeerscheinung für hypertone Patienten dar, weil sich das Risiko,
einen plötzlichen Herztod zu erleiden, einen Herzinfarkt oder Hirninfarkt
zu bekommen oder eine Linksherzinsuffizienz zu entwickeln, auf das 5-7fache
erhöht. |
• |
Nieren: Bei der Nierenbeteiligung
ist zwischen der benignen arteriosklerotischen und der malignen arteriosklerotischen
Nephrosklerose
zu unterscheiden. Letztere kann zur arteriolosklerotischen Schrumpfniere
mit Niereninsuffizienz führen. |
• |
Gehirn: Die Arteriosklerose
der Hirngefäße als Hochdruckfolge ist häufig Ursache von
Apoplexen (Schlaganfällen), induziert entweder durch eine Massenblutung
im Gehirn oder durch Hirninfarkte. Ein Drittel der Todesfälle im Rahmen
eines bestehenden Hypertonus beruht auf Schlaganfällen. |
• |
Arterielle Verschlusskrankheit
(s. Kap. 2.3.11.1) |
• |
Auge: Hypertoniebedingte
Veränderungen und Schäden der Netzhaut sind Blutungen, Netzhautherde
oder in schwersten Fällen ein Ödem an der Sehnervenaustrittsstelle
(Papillenödem). Daher ist bei jedem Hypertoniker eine regelmäßige
Untersuchung des Augenhintergrundes (Fundoskopie) erforderlich. |
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Abb. 23: Komplikationen
und Folgekrankheiten der arteriellen Hypertonie (modifiziert nach F. Herrmann)
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Abb.
23 |
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Als hypertensiver Notfall
wird eine akut lebensbedrohliche Situation durch eine plötzliche
hypertensive Krise oder allmählich starken Blutdruckanstieg bezeichnet.
Die Patienten sind durch folgende Komplikationen gefährdet:
• Herzinfarkt,
• akutes Linksherzversagen
(Lungenödem),
• Schlaganfall (Apoplexie),
• hypertensive Enzephalopathie,
• Dissektion eines
Aortenaneurysmas. |
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Hypertensive
Krise |
Klinisches Bild und Komplikationen
der sekundären Hypertonie sind mit denen der primären Hypertonie
identisch. |
Der amerikanische Arzt GOLDBLATT
konnte 1934 im Tierversuch klären, wie Nierenkrankheiten zur Hypertonie
führen. Drosselte er eine Nierenarterie oder engte er eine Niere durch
straffe Umhüllung mit Cellophan ein, so trat ein Hochdruck auf, der
sich in beiden Fällen durch eine Minderdurchblutung der Niere
erklären läßt. Dabei wird in den Zellen des sogenannten
juxtaglomerulären Apparates der Niere eine Substanz, das Renin, vermehrt
gebildet und in die Blutbahn abgegeben. Unter dem Einfluß von Renin
wird das in der Leber produzierte Angiotensinogen in Angiotensin I umgewandelt.
Durch das Angiotensin converting enzyme (ACE) entsteht aus Angiotensin
I das stark blutdrucksteigernde Angiotensin II. Es entfaltet seine blutdrucksteigernde
Wirkung durch eine starke Verengung der Arteriolen mit Erhöhung des
peripheren Gefäßwiderstandes. Außerdem stimuliert Angiotensin
II die Sekretion des Nebennierenrindenhormons Aldosteron. Dieses wiederum
wirkt über eine Retention von Wasser und Natrium ebenfalls blutdrucksteigernd.
Das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System ist demnach für die Blutdruckregulation
von großer Bedeutung. Die blutdrucksenkende Wirkung von sog. ACE-Hemmern
ist über den hier geschilderten Mechanismus zu erklären. |
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Sekundäre |
Hypertonieformen: |
renale Hypertonie |
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Ist eine Nierenarterie z.B.
durch eine arteriosklerotische Wandschädigung oder eine angeborene
Missbildung eingeengt, so kann auf diese Weise eine renovaskuläre
Hypertonie entstehen. Die Diagnostik solcher Stenosen ist mittels Arteriographie
möglich. Ist das Nierenparenchym erkrankt (renoparenchymaler Hochdruck),
z.B. bei einer chronischen Pyelonephritis oder Glomerulonephritis, oder
liegen ausgedehnte Zystennieren vor, findet sich häufig ein Hypertonus,
dessen Schwere mit dem Schwund an Nierengewebe in etwa parallel verläuft.
Beim renalen Hochdruck ist
unter Umständen eine operative Behandlung möglich: Besteht die
Nierenarterienstenose noch nicht zu lange, kann sie mittels Ballondilatation
(Angioplastie) oder operativ beseitigt werden. Dies führt in ca. zwei
Drittel der Fälle zur Blutdrucknormalisierung. |
Bei Erkrankungen der
Nebennierenrinde, z.B. im Rahmen eines M. Cushing oder bei Nebennierenrindentumoren
mit vermehrter Aldosteronbildung wie beim sog. Conn-Syndrom, tritt
in etwa 90% eine Hypertonie auf. Bestimmte, meist (90%) gutartige Tumoren
des Nebennierenmarks, sog. Phäochromozytome, bilden große
Mengen an Noradrenalin und Adrenalin, die über eine Sympathikusaktivierung
einen - manchmal anfallsartig auftretenden - Hochdruck bewirken können.
In allen diesen Fällen muss operiert werden. |
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Endokrine
Hypertonie |
In dieser Gruppe ist der
Hochdruck bei Aortenisthmusstenose am wichtigsten, da er auf einer
operativ korrigierbaren Missbildung der Aorta beruht. Bei Aorteninsuffizienz
und beim totalen AV-Block kommen mäßig erhöhte Blutdruckwerte
mit großer Blutdruckamplitude als Folge des erhöhten Schlagvolumens
vor. |
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Kardiovaskuläre
Hypertonie |
In seltenen Fällen
können Ovulationshemmer eine Hypertonie auslösen, die jedoch
meist, aber keineswegs immer, 4-8 Wochen nach Absetzen des Präparates
wieder abklingt. Zum Zusammenhang zwischen Schwangerschaft und Hypertonie
s. Kap. 13.4.13. |
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Ovulationshemmer |
und Hypertonie |
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Eine zentrale Hypertonie
ist selten; sie wird gelegentlich bei entzündlichen Erkrankungen des
Zentralnervensystems (auch bei Poliomyelitis) und bei Vergiftungen (z.B.
Thalliumvergiftung) beobachtet. |
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Zentrale
Hypertonie |