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Linus Geisler: INNERE MEDIZIN © 1969/1999 W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart Berlin Köln 
2.3.11 Angiopathien
2.3.11.1 Erkrankungen der Arterien
 
2.3.11 Angiopathien
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Definition: Angiopathien sind Krankheiten des Gefäßsystems.
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"Der Mensch ist so alt wie seine Gefäße." Dieser Satz des berühmten deutschen Pathologen RUDOLF VIRCHOW (1821-1902) trifft vor allem für die Arteriosklerose zu, die in der Todesursachenskala des Erwachsenen an der Spitze steht.
Merke: Die Arteriosklerose ist die Todesursache Nr. 1 beim Erwachsenen.
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Eine Untersuchung des arteriellen Gefäßsystems ist mit Hilfe folgender Methoden möglich:
•  Palpation und Auskultation (s. Abb. 24, S. 140),
•  Oszillografie (Registrierung pulssynchroner Volumenschwankungen in den Arterien),
•  Ultraschall-Doppler-Untersuchung,
•  Sonografie des Abdomens bei Verdacht auf Bauchaortenaneurysma,
•  Duplexsonografie (nicht invasives Verfahren zur Darstellung von Gefäßstenosen, das aus einer Kombination von Ultraschallbilddarstellung und Dopplersonographie besteht),
•  CT-Thorax bei Verdacht auf thorakales Aortenaneurysma,
•  Arteriografie (röntgenologische Gefäßdarstellung mittels intraarterieller Kontrastmittelinjektion),
•  DSA (Digitale Subtraktionsangiografie). Durch eine digitale Röntgenbildverarbeitung mit Hilfe von Computern genügen relativ geringe Kontrastmittelmengen zur Darstellung des Herzens und der Gefäße.
Diagnostische Maßnahmen
Venöse Gefäßabschnitte können beurteilt werden durch:
  Inspektion und Palpation,
  Ultraschall-Doppler-Untersuchungen,
  Phlebografie (röntgenologische Venendarstellung mit Hilfe intravenöser Kontrastmittelinjektion).
2.3.11.1 Erkrankungen der Arterien
Fast alle Arterienerkrankungen führen zu einer Einengung des Gefäßlumens. Diese kann rein funktionell, sehr viel häufiger jedoch organisch bedingt sein. Die Arteriosklerose ist die Hauptursache organischer Arterienerkrankungen. Sehr viel seltener sind entzündliche Arterienerkrankungen.
Arteriosklerose
Merke: Die Arteriosklerose ist die häufigste und klinisch bedeutendste Arterienerkrankung.
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Praktisch bei jedem Menschen entwickelt sich im Laufe des Lebens in irgendeinem Gefäßabschnitt der arteriellen Strombahn eine mehr oder minder ausgedehnte Arteriosklerose. Pathologisch-anatomisch finden sich folgende Veränderungen:
Die Gefäßwand ist verhärtet, die natürliche Elastizität fehlt, und nach Eröffnung des Gefäßes wird die starke Einengung des Gefäßlumens erkennbar (s. Abb. 25, S. 141).
Pathologisch-anatomische
Grundlagen
Abb. 24: Palpationsstellen der Auskultationspunkte der wichtigsten Arterien (modifiziert nach Hild und Nobbe)
Abb. 24 (klein)
Vergrößerung
Abb. 24
Abb. 25: Gesunde und arteriosklerotisch veränderte Arterie
Abb. 25
Abb. 25
In der Intima, der innersten Gefäßwandschicht, fallen herdförmige Ablagerungen von Fett-Eiweißkörpern, sog. Lipoproteinen, Bindegewebsfasern und Cholesterin auf. Man spricht von sog. arterio-sklerotischen Plaques. Bricht ein solcher Herd auf, entsteht ein arteriosklerotisches Geschwür in der Gefäßwand. An diesem lagern sich bevorzugt Blutgerinnsel ab, die dann langsam oder akut zu einem kompletten Gefäßverschluss führen (s. Abb. 25). Pathophysiologie
Als Aneurysma bezeichnet man eine umschriebene, meist asymmetrische krankhafte Wandausbuchtung eines vorgeschädigten arteriellen Gefäßes, meist der Brust- oder Bauchaorta. Unter Dissektion eines Aneurysmas versteht man einen plötzlichen Intimaeinriss mit Bluteintritt in die Aortenwand. Diese Wühlblutung kann einen mehr oder minder langen Falschkanal in der Aortenwand nach sich ziehen (s. Abb. 26). Die Dissektion eines Bauchaortenaneurysmas kann unter dem Bild eines akuten Abdomens mit Nierenversagen verlaufen und führt unbehandelt rasch zum Tode. Aneurysma
Abb. 26: Schematische Darstellung der Aortendissektion (gelbe Linien) entsprechend dem Einteilungsschema von De Bakey et al.
Abb. 26
Abb. 26
In seltenen Fällen liegt eine dominant vererbte Störung des Cholesterinstoffwechsels vor; bei dieser sog. familiären Hypercholesterinämie (Erhöhung des Blutcholesterinspiegels) entwickelt sich frühzeitig auch eine schwere Arteriosklerose. Aber auch bei der üblichen Arteriosklerose spielen genetische Aspekte eine Rolle. Daneben gibt es eine Reihe von Faktoren (s. Risikofaktoren beim Herzinfarkt, S. 122 Link), die die Entwicklung und das Fortschreiten der Arteriosklerose stark fördern:
  Hypertonie,
  Hyperlipidämie,
  Rauchen,
  Diabetes mellitus,
  Adipositas,
  Gicht.
Entstehung
Auch bei einer Schilddrüsenunterfunktion und bei bestimmten Nierenerkrankungen, wie z.B. beim Nephrotischen Syndrom, kann sich eine Arteriosklerose entwickeln.
Die von der Arteriosklerose am stärksten betroffenen bzw. gefährdeten Organe und Körperabschnitte sind:
  Herz: koronare Herzkrankheit,
  Gehirn: Schlaganfall,
  Niere: Arteriosklerose, Schrumpfniere,
  periphere Gefäße: arterielle Verschlusskrankheit,
  Auge: Netzhautschädigung (bis zur Erblindung),
  Darm: Darminfarkte durch Verschlüsse von Mesenterialarterien.
Komplikationen
Bestehende arteriosklerotische Gefäßveränderungen können medikamentös nicht mehr beseitigt werden, ein gewisser Rückgang unter einer Behandlung mit cholesterinsenkenden Medikamenten (CSE-Hemmern) ist jedoch möglich. Frische thrombotische Auflagerungen sind einer Fibrinolyse zugänglich. Antikoagulantien dienen der Prophylaxe neuer thrombotischer Ablagerungen. Entscheidend ist die rechtzeitige Bekämpfung der Risikofaktoren wie Hypertonie, Stoffwechselerkrankungen, Rauchen und Übergewicht. Therapie
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Periphere arterielle Verschlusskrankheit (AVK)
Definition: Als periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) wird die Einengung oder der völlige Verschluss einer oder mehrerer Arterien des Beckens, der Beine und seltener der oberen Extremitäten bezeichnet.
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Ursache der AVK ist vor allem die Arteriosklerose, seltener eine Endangiitis Winiwarter-Buerger. Betroffen sind vorwiegend Männer zwischen 50 und 60 Jahren, unter denen sich auffallend viele Raucher befinden. Ursache
Je nach dem Sitz des Gefäßverschlusses kann ein Beckentyp (z B. Verschluß im Bereich der Aortengabel), ein Oberschenkeltyp (Verschluß der Oberschenkelgefäße) und ein Unterschenkeltyp (Verschlüsse der drei Unterschenkelarterien) unterschieden werden. Kombinationen kommen ebenfalls vor. Am häufigsten ist der Oberschenkeltyp. Der Verschlussvorgang entwickelt sich schleichend über Jahre. Klinisches Bild
Am Beispiel des Verschlusses einer Oberschenkelarterie lassen sich der typische Verlauf und die Stadien der Erkrankung darstellen (s. Abb. 27, S. 144). Die Stadieneinteilung stammt von dem französischen Chirurgen RENÉ FONTAINE.
•  Stadium I: Die Arterienpulse - hier im Bereich der Kniekehle und der Füße - sind nicht mehr tastbar, es bestehen jedoch keine Beschwerden.
•  Stadium II: Die Durchblutung der Unterschenkelmuskulatur über sog. Kollateralen oder Umgehungskreisläufe reicht in Ruhe noch aus. Sobald der Patient eine bestimmte Strecke, die beschwerdefreie Gehstrecke genannt wird, gegangen ist, entwickelt sich ein hochgradiger Durchblutungsmangel der Wadenmuskulatur. Es kommt zu Schmerzen und Krämpfen in der Wade, der Patient beginnt zu hinken und muss schließlich stehenbleiben. Jetzt erholt sich die Muskulatur wieder, die Schmerzen verschwinden, der Patient geht weiter, um nach kurzer Zeit unter den gleichen Beschwerden wie zuvor stehenzubleiben. Man spricht von intermittierendem Hinken oder Claudicatio intermittens. Die beschwerdefreie Gehstrecke kann anfänglich viele hundert Meter, in Spätstadien nur noch wenige Meter betragen. Man kann daher Stadium IIa (schmerzfreie Gehstrecke über 200 m) und Stadium IIb (schmerzfreie Gehstrecke unter 200 m) unterscheiden. Da diese Gehstrecke dann bei Spaziergängen gerade noch ausreicht, um von einem Schaufenster zum anderen zu gelangen, spricht man auch von der sog. Schaufensterkrankheit.
•  Stadium III: Dieses Stadium ist bereits unter Ruhebedingungen durch einen Sauerstoffmangel charakterisiert, der sich als Ruheschmerz im Bein, besonders nachts, quälend bemerkbar macht. Typisch ist das Bild des schlaflosen Patienten, der das erkrankte Bein aus dem Bett hängen läßt, weil Hochlagerung die Durchblutung zusätzlich vermindert.
•  Stadium IV: Hier bricht die Sauerstoff- und Substratversorgung vollständig zusammen, es entwickeln sich Nekrosen der Zehen oder des Fußes, die als blau-schwarz verfärbte Gewebsbezirke erkennbar sind.
Stadieneinteilung
Abb. 27: Stadien und Typen der peripheren arteriellen Verschlußkrankheit
Abb. 27 (klein)
Vergrößerung
Abb. 27
Die Behandlung der arteriellen Verschlusskrankheit muss gemeinsam mit dem Gefäßchirurgen festgelegt werden. Medikamentös kann versucht werden, durch intravenöse oder intraarterielle Infusion gefäßerweiternder Substanzen eine Verbesserung der Durchblutung zu erzielen (z.B. Trental®, Dusodril®, Bufedil®, Prostavasin®). Frische arterielle Thrombosen müssen fibrinolysiert werden. Bei der sog. Dotter-Technik ("Dotierung") wird versucht, verengte Bein-Beckenarterien mit einem Ballon-Katheter aufzudehnen. Der Chirurg kann bei Becken- und Oberschenkelgefäßverschlüssen
die verlegte Arterie instrumentell von ihren Intimaauflagerungen befreien (sog. Desobliteration),
•  einen künstlichen Umgehungskreislauf, einen sog. Bypass anlegen,
•  ein neues Gefäßstück einpflanzen (Gefäßtransplantat aus körpereigenen Venen oder Kunststoffarterien aus Teflon, Dacron usw.).
Therapie
Versagen alle diese Maßnahmen, ist die Amputation bei ausgedehnteren, vor allem aber bei infizierten Nekrosen unvermeidbar. Nützlich ist auch eine krankengymnastische Behandlung mit Geh- und Lagerungsübungen vor allem in den Stadien I und II.
Übersicht 21: Pflege bei arterieller Verschlusskrankheit
•  Ruhigstellung und Tieflagerung der durchblutungsgestörten Gliedmaße durch Höherstellen des Bettkopfendes um 15-20 cm (ab Stadium III).
•  Weiche, nicht beengende Socken oder Strümpfe.
•  Lagerung der Gliedmaße in lockere Watteverbände zum Schutz vor Verletzungen sowie zum Warmhalten.
•  Nekrosen austrocknen lassen (Abdecken mit luftdurchlässigem Material, keine Salbenverbände).
•  Vorsichtige Fußpflege - auch kleinste Verletzungen vermeiden!
Übersicht 21
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Merke: Heizkissen oder heiße Bettflaschen sind bei AVK strengstens verboten, da sie infolge von Sensibilitätsstörungen zu schwersten Nekrosen führen können!
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Raynaud-Krankheit
Definiton: Bei der Raynaud-Krankheit (akrales Ischämie-Syndrom, vasospastisches Syndrom) bestehen funktionelle Durchblutungsstörungen an Händen oder Füßen durch Engstellung der peripheren arteriellen Gefäße.
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Die Krankheit ist nach dem französischen Internisten A. G. MAURICE RAYNAUD (1834-1881) benannt. Sie betrifft überwiegend Frauen und ist das klassische Beispiel einer funktionellen Gefäßerkrankung. Vorkommen
Leitsymptom sind symmetrische, schmerzhafte Gefäßverengungen, vor allem im Bereich der Finger, aber auch der Zehen. Die Finger werden blass ("Leichenfinger"), sie schmerzen erheblich und werden als "taub" empfunden. Nach Abklingen des Anfalls, der durch Kälte oder mechanische Irritation ausgelöst sein kann, tritt eine bläuliche Verfärbung auf. In den Spätstadien führt die Minderdurchblutung zu Ernährungsstörungen vor allem der Nägel (Rissigwerden, Nagelbetteiterungen), ganz selten zu Nekrosen der Fingerkuppen. Klinisches Bild
Abb. 28: Raynaud-Syndrom mit Blässe der Finger 2-5 linke Hand
Abb. 28
Abb. 28
Die Ursache ist unbekannt. Ursache
Die Basis der Therapie bilden Kälte- und Feuchtigkeitsschutz. Wechselbäder sind, wie bei den meisten Gefäßerkrankungen, schädlich! Die Häufigkeit der Anfälle kann durch Kalziumantagonisten oder Nitropräparate (lokal als Salbe oder oral) verringert werden. Therapie
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Entzündliche Arterienerkrankungen
Entzündliche Arterienerkrankungen sind wesentlich seltener als die Arteriosklerose. Die beiden wichtigsten Formen sind die Thrombangiitis obliterans und die Panarteriitis nodosa.
Die Thrombangiitis obliterans (Winiwarter-Buergersche Erkrankung) führt zu entzündlichen Intimaveränderungen, an denen sich Thromben ablagern. Leitsymptome sind schwere Durchblutungsstörungen der Arme und Beine, die fast ausnahmlos jüngere Männer, die starke Raucher sind, betreffen. Typisch ist der segmentale Befall kleiner und mittlerer Arterien sowie gleichzeitig das Auftreten von Venenentzündungen. Thrombangiitis obliterans
Bei der Panarteriitis nodosa handelt es sich um eine schwere, entzündlich bedingte Gefäßerkrankung, die alle Wandschichten - bevorzugt die Media - mittlerer und kleinerer Äste befällt und zu aneurysmatischen Ausweitungen führen kann. Gelegentlich können Knötchen im Bereich der Hautarterien tastbar sein. Fieber, starke Blutsenkungsbeschleunigung, Eosinophilie, Lungeninfiltrate, Hypertonie und Neuritiden zeigen, daß es sich um eine schwere, immunologisch bedingte Allgemeinerkrankung handelt. Sie wird zum rheumatischen Formenkreis gezählt. Die Diagnose wird am sichersten durch eine Probeexzision (PE) aus einem betroffenen Gefäßabschnitt gestellt. Typisch sind hohe BSG, Bluteosinophilie und der Nachweis von Gefäßantikörpern. Die Prognose ist ungünstig. Kortikoide und/oder Immunsuppressiva (z.B. Azathioprin) können eine Besserung bewirken. Panarteriitis nodosa
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Linus Geisler: INNERE MEDIZIN. 17. vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, Stuttgart Berlin Köln
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