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Linus Geisler: INNERE MEDIZIN © 1969/1999 W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart Berlin Köln 
2.2 Diagnostik
2.2.1 Puls
2.2.2 Blutdruck
2.2.3 Röntgenuntersuchung des Herzens
 
2.2   Diagnostik
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Die wichtigsten klinischen Untersuchungsmethoden des Herzens sind:
•  Beurteilung der Herzform und -größe durch Beklopfen (Perkussion),
•  Abhorchen des Herzens mit dem Stethoskop (Auskultation). Diese relativ einfachen Untersuchungen erlauben häufig nur die vorläufige Diagnose einer bestimmten Herzerkrankung.
•  Pulsfühlen und Blutdruckmessen liefern wertvolle zusätzliche Informationen und sollten vom geschulten Pflegepersonal einwandfrei beherrscht werden.
•  Die Auskultation der Lungen, um festzustellen, ob eine Lungenstauung als Folge einer Herzinsuffizienz vorliegt.
Wichtige 
diagnostische
Methoden
2.2.1 Puls
In der Regel wird der Puls an der Arteria radialis (Speichenschlagader) getastet. Zur Beurteilung des gesamten arteriellen Gefäßsystems dient das Fühlen anderer wichtiger Arterienpulse, z.B. am Hals, in den Schlüsselbeingruben, Achselhöhlen, Leistenbeugen, in der Kniekehle, am Fußrücken und am Fußinnenknöchel. Aussagekräftig sind sämtliche Pulsqualitäten, d.h. die Frequenz, Spannung, Größe, der Rhythmus sowie der Druckablauf.
Die Pulsfrequenz in Ruhe nimmt im Laufe des Lebens ab. Sie beträgt beim Neugeborenen 140/min, beim Zehnjährigen 90/min und beim Erwachsenen 60-80/min. Beim Gesunden sind Herz- und Pulsfrequenz identisch. Beim Herzkranken kann die Pulsfrequenz niedriger liegen als die Zahl der Herzschläge, weil der geschwächte Herzmuskel nicht in der Lage ist, bei jedem Schlag ein ausreichendes Schlagvolumen auszuwerfen. Eine solche Differenz zwischen Herzfrequenz und Pulsfrequenz wird Pulsdefizit genannt. Ein Pulsdefizit bedeutet immer, dass eine erhebliche Leistungsminderung des Herzens vorliegt. Pulsfrequenz
Pulsdefizit
Ist kein Radialispuls zu tasten, so kann dies folgende Ursachen haben:
•  Der Blutdruck ist stark abgesunken (häufigste Ursache). Sofort den Blutdruck messen und den Arzt verständigen, da nur er entscheiden kann, ob lediglich ein flüchtiger, vorübergehender Blutdruckabfall (z.B. nach längerem Stehen) oder ein Kreislaufschock vorliegt.
•  Die A. radialis ist, z.B. durch ein Blutgerinnsel, verschlossen (selten).
Sinkt die Pulsfrequenz unter 50/min ab, spricht man von einer Bradykardie. Eine Bradykardie kann physiologisch Ausdruck eines guten Trainingszustandes ("Schonung des Herzens", sog. Sportlerherz) sein. Generell kann jede Reizung des Vagusnerven, der als "Herzbremse" fungiert, eine Bradykardie auslösen. Über diesen Mechanismus bewirken Morphin, Digitalis, Erbrechen oder eine Steigerung des Hirndrucks (z.B. durch Hirntumor, -blutung, -ödem) eine Bradykardie.
Durch eine Hemmung des Sympathikusnerven führen die sog. Beta-Rezeptorenblocker (z.B. Dociton®, Beloc®, Visken®) zu einer Bradykardie. Auch eine Schilddrüsenunterfunktion oder Typhus können mit einer Bradykardie einhergehen. Eine häufige Ursache für eine Bradykardie ist das Syndrom des kranken Sinusknotens, das Sick-Sinus-Syndrom. Besonders schwerwiegend sind Bradykardien infolge einer Reizleitungsstörung, z.B. durch Unterbrechung der Reizleitung zwischen AV-Knoten und Kammer.
Bradykardie
Merke: Tritt bei Patienten mit Herzkrankheiten eine plötzliche Pulsverlangsamung auf, so ist dies immer ein alarmierendes Zeichen!
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Als Tachykardie bezeichnet man eine Pulsfrequenz von über 100/min. Sie ist physiologisch bei körperlicher Belastung und bei seelischer Erregung. Im Fieber steigt die Pulsfrequenz (mit Ausnahme von Typhuserkrankungen und manchen Virusinfekten) in der Regel um etwa 8 Schläge/min je 1° C Temperaturerhöhung an. Atropin (Vagushemmung), Adrenalin, Noradrenalin, Koffein und Alkohol beschleunigen die Herzfrequenz. Im Rahmen einer Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreose) liegt fast immer eine Tachykardie vor, häufig auch bei schweren Anämien. Ebenso ist bei vielen Herzklappenfehlern, bei den meisten entzündlichen Herzerkrankungen und im Schock die Pulsfrequenz erhöht. Tachykardie
Die Größe der tastbaren Pulswelle hängt im wesentlichen vom Schlagvolumen ab. Im Rahmen einer bestehenden Herzinsuffizienz, im Schock und bei bestimmten Herzklappenfehlern (Mitral- und Aortenstenose) ist daher der Puls dünn oder fadenförmig. Hart und gespannt wird der Puls bei Blutdruckerhöhung getastet, weich und leicht unterdrückbar bei niedrigen Blutdruckwerten. Ein plötzlich ansteigender, schnellender Puls weist auf eine große Blutdruckamplitude (Differenz zwischen systolischem und diastolischem Wert) hin. Größe der Pulswelle
Sehr wichtig ist der Pulsrhythmus. Nicht nur beim Gesunden, sondern auch bei vielen Herzkranken ist der Puls völlig regelmäßig. Arrhythmie hingegen bedeutet wechselnden Rhythmus. Harmlos ist die atmungsabhängige (respiratorische) Arrhythmie, die besonders bei Kindern und Jugendlichen nachweisbar ist: Bei der Einatmung nimmt die Pulsfrequenz zu, bei der Ausatmung fällt sie ab. Als absolute Arrhythmie bezeichnet man eine vollständige Unregelmäßigkeit des Pulses. Meist beruht sie auf einem Vorhofflimmern und wird vor allem bei Klappenfehlern mit Überdehnung des linken Vorhofs, bei degenerativen Herzerkrankungen und bei der Schilddrüsenüberfunktion gefunden. Extraschläge des Herzens, sog. Extrasystolen, bewirken ebenfalls eine Arrhythmie. Pulsrhythmus
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2.2.2 Blutdruck
Die apparative Blutdruckmessung wurde 1895 von dem italienischen Kinderarzt SCIPIONE RIVA-ROCCI eingeführt (daher die Abkürzung RR für Blutdruck). Die Messung erfolgt mit einem sog. Sphygmomanometer.
Für eine korrekte Blutdruckmessung ist laut den Empfehlungen der Deutschen Liga zur Bekämpfung des hohen Blutdrucks folgendes Vorgehen wichtig: Die luftleere Manschette muss fest anliegen und soll etwa 2,5 cm oberhalb der Ellenbeuge enden. Unabhängig in welcher Position (Sitzen, Liegen) gemessen wird, soll sich der Ellenbogen in Herzhöhe befinden. Bei der Erstmessung ist immer an beiden Armen zu messen, da es - z.B. bei Verschlüssen von Armarterien - erhebliche Blutdruckunterschiede geben kann. Die weiteren Messungen erfolgen immer an dem Arm mit dem höheren Blutdruckwert. Der Manschettendruck wird unter Palpation des Radialispulses rasch auf einen Wert aufgepumpt, der ca. 30 mm Hg oberhalb desjenigen Druckes liegt, bei dem der Radialispuls verschwindet. Anschließend wird der Manschettendruck langsam verringert und gleichzeitig die Schlagader in der Ellenbeuge auskultiert.
Richtige
Vorgehensweise
bei der 
Blutdruckmessung
Beim ersten hörbaren pulsierenden Geräusch wird am Manometer der systolische Blutdruck angezeigt. Der diastolische Druck wird abgelesen, wenn die Geräusche völlig verschwinden. Nur bei Schwangeren sowie Kindern und Jugendlichen wird der diastolische Druck bereits abgelesen, wenn die Geräusche deutlich leiser werden.
Ferner muß die Weichteildicke des Oberarmes berücksichtigt werden. Bei Oberarmumfängen von mehr als 40 cm werden zu hohe Drücke gemessen. Diese Fehlerquelle kann durch die Verwendung einer breiten Manschette (16-20 cm Breite) ausgeschalten werden. Seitendifferenzen des Blutdrucks kommen auch beim Gesunden vor. Als pathologisch gelten Unterschiede von mehr als 20 mm Hg systolisch oder 15 mm Hg diastolisch.
Der systolische Blutdruck stellt den höchsten Druckwert in den Gefäßen während der Systole dar. Der während der Diastole in den Arterien herrschende Druck ist der diastolische Blutdruck. Die systolisch-diastolische Druckdifferenz wird Blutdruckamplitude genannt.
Bewertung der Messung
Da der Blutdruck bei keinem Menschen - auch nicht bei Gesunden - eine völlig konstante Größe darstellt, sind Mehrfachmessungen zu verschiedenen Zeiten empfehlenswert. Physiologischerweise weist der Blutdruck typische Verlaufsänderungen während der 24 Stunden eines Tages auf (sog. zirkadiane Blutdruck-Rhythmik): Am frühen Morgen steigt der Blutdruck bis auf seinen Höchstwert um die Mittagszeit an, sinkt dann am frühen Nachmittag ab (müde Phase nach dem Mittagessen), um dann am späten Nachmittag einen zweiten, allerdings etwas niedrigeren Gipfel zu erreichen; im Verlaufe der Nacht liegen die Blutdruckwerte dann am niedrigsten. Diese Rhythmik erklärt auch, warum beispielsweise Herzinfarkte und so genannte Blutdruckkrisen in der ersten Tageshälfte gehäuft auftreten. Auch bei der so genannten primären Hypertonie bleibt die zirkadiane Rhythmik auf einem höheren Niveau erhalten, während sie bei sekundären Hochdruckformen aufgehoben sein kann. Bei vielen völlig kreislaufgesunden Patienten sinkt im Laufe eines stationären Aufenthaltes der Blutdruck deutlich ab. Auch bei Hypertonikern kann dies beobachtet werden, so dass bei stationären Patienten mit leichter Hypertonie ohne Behandlung nach einigen Tagen völlig normale Blutdruckwerte vorliegen können. Zirkadiane 
Blutdruckrhythmik
Die 24-Std.-Blutdruckregistrierung, das ambulante Blutdruckmonitoring, gewinnt zunehmend an Bedeutung, da sie eine wesentlich bessere Information über das Blutdruckverhalten, die zirkadiane Rhythmik des Blutdrucks und das Ansprechen auf die Behandlung erlaubt, als dies durch Blutdruck-Einzelmessungen möglich ist. Langzeit RR-Messung
Wie hoch der "normale", in Ruhe gemessene Blutdruck sein darf, ist immer noch strittig. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt als oberen Grenzwert des Zwanzig- bis Vierzigjährigen 130/85 mm Hg an. Im allgemeinen werden Blutdruckwerte über 160/90 mm Hg - unabhängig vom Lebensalter - als Hypertonie bezeichnet. Dabei ist eine diastolische Blutdruckerhöhung ernster zu beurteilen als eine systolische. Ähnlich wie die Größe der Pulswelle hängt auch die Größe der Blutdruckamplitude vom Schlagvolumen ab. Krankheiten mit einem großen Schlagvolumen, wie z.B. die Aorteninsuffizienz oder die Schilddrüsenüberfunktion, gehen daher mit einer großen Blutdruckamplitude einher. Im Schock hingegen wird die Blutdruckamplitude klein (z.B. 70/55 mm Hg); der Blutdruck kann dann schwierig zu messen sein. Oft ist nur der systolische Blutdruckwert durch das Tastbarwerden des Pulses bestimmbar. Hypertonie
Als Grenzwerthypertonie werden systolische Werte zwischen 140-160 und diastolische Werte zwischen 90-95 mm Hg bezeichnet. Ein Teil der Menschen mit Grenzwerthypertonie entwickelt später eine echte Hypertonie. Grenzwerthypertonie
2.2.3 Röntgenuntersuchung des Herzens
Die röntgenologische Untersuchung des Herzens erlaubt eine Aussage über Form und Größe des ganzen Herzens sowie einzelner Herzabschnitte, Pulsationen des Herzens und der herznahen Gefäße sowie Rückwirkungen von Herzkrankheiten auf den Lungenkreislauf. Durch Einspritzen von Kontrastmittel, meist durch einen Herzkatheter, die sog. Angiokardiographie, können die Innenräume des Herzens dargestellt werden. Zudem ist eine selektive Sondierung und Kontrastmittelfüllung der Herzkranzgefäße (Koronarographie) möglich. Schräg- und Seitenaufnahmen sowie die Kontrastmittelfüllung der Speiseröhre ("Ösophagus-Breischluck") verbessern die röntgenologische Beurteilbarkeit bestimmter Herzanteile, insbesondere die des linken Vorhofes (s. Mitralklappenfehler Link) sowie die der Aorta. Mit dem Kymogramm lassen sich röntgenologisch Pulsaktionen am Herzen und den größeren herznahen Gefäßen darstellen.
Angiokardiographie
und Koronarographie
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Linus Geisler: INNERE MEDIZIN. 17. vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, Stuttgart Berlin Köln
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