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Linus Geisler: INNERE MEDIZIN © 1969/1999 W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart Berlin Köln 
2.3.2 Reanimation
2.3.2.1 Herzmassage
2.3.2.2 Beatmung
2.3.2.3 Kombiniertes Vorgehen
2.3.2.4 Weitere Maßnahmen
 
2.3.2   Reanimation
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Reanimation bedeutet Wiederbelebung. Eine Reanimation kann notwendig werden, weil entweder ein Kreislaufstillstand oder ein Atemstillstand (seltener) oder häufig beides zugleich vorliegt. Kreislaufstillstand bedeutet, dass ein zur Aufrechterhaltung des Lebens erforderlicher Minimalkreislauf nicht mehr besteht, gleichgültig, ob seine Ursache ein Herzstillstand (Asystolie) oder ein Kammerflimmern ist. Definition
Die Diagnose des Herz-Kreislauf- und/oder Atemstillstands wird klinisch gestellt:
  Bewusstlosigkeit,
  Pulslosigkeit (A. carotis, A. radialis oder femoralis),
  keine oder nur unzureichende Spontanatmung,
  Pupillenerweiterung,
  keine Spontanbewegungen,
  grau-fahle oder zyanotische Hautfarbe,
  Reflexlosigkeit.
Diagnose
Merke: Das Ziel der Reanimation besteht darin, dass durch äußere (externe) Herzmassage ein Minimalkreislauf erzeugt und gleichzeitig eine ausreichende Beatmung durchgeführt wird.
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Kommt es zu einer plötzlichen Unterbrechung des Blutkreislaufs, so tritt innerhalb von 5-10 Sekunden Schwindel auf. Nach 10 Sekunden erlischt das Bewusstsein, nach ca. einer halben Minute beginnen generalisierte Krämpfe. Atemstillstand tritt nach mehreren Zügen von Schnappatmung nach ca. 60 Sekunden ein. Nach 3-5 Minuten werden die Pupillen in mittlerer, meist maximaler Weite lichtstarr. Pathophysiologie
In der Inneren Medizin werden Reanimationsmaßnahmen wegen folgender Ursachen am Häufigsten erforderlich:
  frischer Herzinfarkt und dessen Komplikationen,
  Rhythmusstörungen (Kammerflimmern, Asystolie),
  massive Lungenembolie,
  Kreislaufschock,
  Intoxikationen.
Ursachen für 
Reanimationsmaßnahmen
Die wesentlichen Schritte sind:
  A = Atemwege freimachen
  B = Beatmung
  C = Circulation wiederherstellen (Herzmassage), ferner
  D = Drugs, d.h. Medikamente (in erster Linie Adrenalin und Xylocain)
  E = EKG und Elektrotherapie (Defibrillation, Schrittmacher).
ABC der Reanimation 
(Grundregeln)
2.3.2.1 Herzmassage
Wir unterscheiden eine äußere (externe) und eine nur ausnahmsweise notwendige innere (direkte) Herzmassage, die eine operative Brustkorberöffnung voraussetzt.
Die äußere Herzmassage ist nur auf fester Unterlage (Brett im Bett, Fußboden) wirksam (Ausnahmen: Röntgentisch, Operationstisch). Die Beine sollen in einem Winkel von etwa 10-20° hochgelagert werden.
Zunächst wird ein kräftiger Faustschlag auf die Thoraxmitte ausgeübt, der manchmal bereits genügt, um die Herzaktion wieder in Gang zu bringen. Ist diese Maßnahme erfolglos, so wird durch etwa 60 rhythmische Druckstöße pro Minute das Herz zwischen Brustbein und Wirbelsäule zusammengepreßt und so ein Minimalkreislauf erzeugt.
Externe Herzmassage
Im Einzelnen geht man folgendermaßen vor:
Der Helfer kniet oder steht - am besten links - neben dem Brustkorb des Patienten und legt die Handballen beider Hände auf das unterste Ende des Brustbeins. Mit durchgedrücktem Ellenbogen wird das Brustbein stoßartig, aber möglichst elastisch, etwa 4 cm weit gegen die Wirbelsäule gedrückt. Zur Herzmassage bei Kindern genügt eine Hand, bei Säuglingen sind zwei Finger ausreichend. Anfänglich kann mit einer etwas höheren Frequenz (100/min) massiert werden. Es stehen heute verschiedene mechanische Hilfen oder sog. Wiederbelebungswagen ("MAX") zur maschinellen Reanimation (Herzmassage im Wechsel mit Beatmung) zur Verfügung.
Vorgehensweise
Die Wirksamkeit der Massage zeigt sich durch Tastbarwerden des (Femoralis-)Pulses und Verengung vorher weiter, reaktionsloser Pupillen. Weitere Zeichen erfolgreicher Reanimation sind die Wiederkehr von Spontanatmung, normaler Gesichtsfarbe und Muskeltonus sowie Abwehrbewegungen. Gleichzeitig muss beatmet werden (s.u.). Die Massagedauer hängt vom Grundleiden und vom erzielbaren Effekt ab; u.U. muß bis zu einer Stunde massiert werden. Die Erfolgschancen nehmen allerdings nach 20-30 Minuten rapide ab. Beurteilung des 
Therapieerfolges
Häufigste, auch durch den Geübten nicht immer vermeidbare Komplikationen der Herzmassage sind Rippenbrüche (ca. 30%), die auch zu Blutungen in Lungen und Herzbeutel oder zum Pneumothorax führen können. Leber- und Milzrisse sind selten (ca. 2%). Komplikationen
2.3.2.2 Beatmung
Die Beatmung wird als Mund-zu-Mund-, Mund-zu-Nase- oder Masken-Beatmung (Guedel-Tubus) durchgeführt. Sie setzt voraus, dass die Atemwege frei sind. Daher: Fremdkörper oder Zahnprothese aus dem Mund entfernen, notfalls rasch, aber intensiv absaugen.
Der Spender bringt durch Mund, Nase oder Tubus Luft in die Lungen des Patienten ein. Bei Kindern kann durch Mund und Nase gleichzeitig Luft eingeblasen werden. Je nachdem, ob durch Nase oder Mund beatmet wird, müssen Mund bzw. Nase des Patienten verschlossen werden. Der Kopf des Patienten muss nach hinten überstreckt werden, indem mit der einen Hand die Stirn nach hinten und unten gedrückt wird; die andere Hand hält das Kinn und verhindert dessen Zurückrutschen. Bei Verdacht auf HWS-Verletzungen, z.B. im Rahmen eines Unfalls, darf der Kopf nicht überstreckt oder zur Seite gedreht werden. Eine Beatmung ist auch mit Atemmaske und Beutel (sog. Ambu-Beutel) möglich. Die Maske muß jedoch dicht aufgesetzt werden. Die Beatmung ist am sichersten über einen Tracheal-Tubus durchführbar, der über Nase oder Mund eingelegt wurde (naso-tracheale bzw. oro-tracheale Intubation). Wenn Intubationsbesteck und/oder erfahrenes Personal nicht unmittelbar zur Stelle sind, sollte keine Zeit mit Intubationsversuchen verloren werden! Die Beatmung muß zu einer sichtbaren Ausdehnung des Brustkorbs führen. Ebenso kann mit dem Stethoskop kontrolliert werden, ob die künstliche Beatmung wirksam ist. Nach internationalen Empfehlungen (Guidelines for cardiopulmonary resuscitation and emergency cardiac care. J. Amer. med. Ass. 268, 1992, 2171) sollen die Atemstöße bei Erwachsenen langsamer, d.h. jeweils über 1,5-2 Sekunden erfolgen, um den Übertritt von Luft in den Magen und damit die Regurgitation und Aspiration von Mageninhalt mit der Gefahr einer Aspirationspneumonie möglichst zu vermeiden. Vorgehensweise
2.3.2.3 Kombiniertes Vorgehen
Beatmung und Herzmassage sollen wechselweise, nicht jedoch gleichzeitig durchgeführt werden. Wird die Reanimation von einer Person durchgeführt (Ein-Helfer-Methode), so beträgt der Rhythmus Beatmung: Herzmassage 2 : 15, bei zwei Helfern (Zwei-Helfer-Methode) 1 : 5.
Häufig praktizierte Fehler bei Reanimationsmaßnahmen sind:
•  Der Patient liegt auf einer weichen, federnden Unterlage.
•  Die Herzmassage erfolgt nicht am unteren Brustbeindrittel.
•  Die Beatmung ist unzureichend aufgrund einer ungenügenden Überstreckung des Kopfes oder einer nicht dicht aufsitzenden Maske.
•  Die Atemwege sind nicht ausreichend freigemacht.
•  Die Herzmassage wird zu schwach oder zu hastig ausgeführt (Frequenz über 100/min).
Häufige Fehler
Merke: Kopflose Hast und mangelhafte Kooperation der Helfer sind lebensgefährlich und müssen daher vermieden werden!
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2.3.2.4 Weitere Maßnahmen
Sind mehrere Helfer vorhanden, so sollten sich zwei Personen bei Beatmung und Massage abwechseln; die anderen sollten währenddessen:
•  sofort den Arzt verständigen,
•  Defibrillator und Schrittmacher sowie EKG-Gerät bereitstellen und einschalten,
•  Intubationsbesteck (z.B. Ambu-Tasche) und Besteck für venösen Zugang bereitstellen,
•  folgende Medikamente in Ampullenform bereithalten: Adrenalin (Suprarenin®), Lidocain (Xylocain®), Orciprenalin (Alupent®), Itrop®, Atropin, Dopamin, Dobutrex®;
ferner: intravenös injizierbare Antiarrhythmika (z.B. Mexiletin, Ajmalin, Propafenon, Diphenylhydantoin, Amiodaron) (s. Tab. 13 auf S. 86 Link),
•  folgende Infusionen bereitstellen: Natriumbikarbonat-Lösung (8,4%ig), Plasmaersatzmittel (s. Kapitel 2.3.1.3 Schock Link), NaCl- und Glucose-Lösungen.
Maßnahmen, Geräte und
Notfallmedikamente
Auf Wach- und Intensivpflegestationen stehen solche Medikamente und Geräte ständig bereit. Wo derartige Stationen nicht vorhanden sind, sollte alles für eine Reanimation Notwendige zentral aufbewahrt, gut gekennzeichnet und jederzeit erreichbar zur Verfügung stehen, z.B. in einem Notfallwagen.
Ist die erste Notfallsituation durch Beatmung und Massage überbrückt, können gezielte ärztliche Maßnahmen getroffen werden:
Intubation und Beatmung mit Ambu-Beutel oder Beatmungsgerät, EKG zur Unterscheidung zwischen Herzstillstand und Kammerflimmern, Monitoring.
Bei medikamentös nicht behebbarer Asystolie ist die transvenöse, intrakardiale Schrittmachertherapie umgehend indiziert.
Ärztliche Maßnahmen
Beim Kammerflimmern muss sofort versucht werden, den Herzmuskel zu defibrilheren (entflimmern). Bei der Defibrillation wird über zwei mit Kontaktgel versehene Elektroden (eine am Rücken, eine über dem Herzen angelegt) ein Stromstoß mit 100-200-400 Ws durch das Herz geschickt. Dabei dürfen weder Patient noch Bett berührt werden. Häufig sind mehrfache Defibrillationen erforderlich. Nach jeder Defibrillation sind sofort EKG und Puls zu kontrollieren. Defibrillation
Übersicht 11: Standardvorgehen bei Kreislaufstillstand (modifiziert nach G. H. Meuret)
1. Atemwege freimachen
2. Beatmung (Intubation)
3. Kardiale Kompression
4. Medikamentöse Therapie
Adrenalin: 1,0 mg intravenös, evtl. 2-3 mg über liegenden Tubus endobronchial (Verdünnung nicht notwendig) Wiederholung alle 3-5 Minuten: gleiche Dosis
•  NaHCO3 (Natriumbikarbonat): 1 mmol/kg Körpergewicht i. v. (in langsamer Infusion) 
Wiederholung nach 10 Minuten: halbe Dosis
Übersicht 11
Beim Kreislaufstillstand wird 1 mg Adrenalin intravenös oder 2-3 mg durch den Trachealtubus intrabronchial appliziert. Itrop® wird bei bradykarden Herzrhythmusstörungen gegeben. Beim Kreislaufstillstand unklarer Ursache (Asystolie? Kammerflimmern?) soll zuerst Adrenalin gegeben werden.
Bei rezidivierendem Kammerflimmern wird vorbeugend Xylocain® zunächst als Bolus (100 mg i. v.), anschließend als Infusion verabreicht. Die innerhalb weniger Minuten auftretende schwere Blut- und Gewebsazidose (Übersäuerung) wird mit Natriumbikarbonatinfusionen (1 mmol/kg Körpergewicht) als Pufferlösungen bekämpft.
Der Erfolg von Reanimationsmaßnahmen hängt von folgenden Faktoren ab:
•  Zeitdauer bis zum Einsetzen der Reanimation. Wiederbelebungsversuche, die erst 4 Minuten nach eingetretenem Atem- oder Kreislaufstillstand begonnen werden, sind nur noch in ca. 5% erfolgreich,
•  Art der Rhythmusstörungen (Kammerflimmern? Asystolie?),
•  Ursache (Prognose beispielsweise schlecht bei ausgedehntem Herzinfarkt, relativ gut bei Narkosezwischenfall),
•  Ort des Ereignisses (Straße? Operationssaal? Intensivstation?).
Prognose der Reanima-
tionsmaßnahmen
Laut Statistiken können ca. 15% der in einer Klinik nach Kreislaufstillstand reanimierten Patienten ohne wesentliche Restschäden entlassen werden.
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Linus Geisler: INNERE MEDIZIN. 17. vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, Stuttgart Berlin Köln
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Autorisierte Online-Veröffentlichung: Homepage Linus Geisler - www.linus-geisler.de
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