Start  <  Artikelübersicht  <  Linus Geisler: ARZT-PATIENT-BEZIEHUNG IM WANDEL. Beitrag im ENQUETE-ABSCHLUSSBERICHT vom 14.05.2002
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Prof. Dr. Linus Geisler
Arzt-Patient-Beziehung im Wandel - Stärkung des dialogischen Prinzips
Der Wandel

Medizinverständnis und Arzt-Patient-Beziehung befinden sich seit den 70er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts im Wandel [1], wobei neben technologischen Errungenschaften gesellschaftliche Einflüsse und ökonomische Rahmenbedingungen als interferierende Elemente bedeutsam sind.

Dem tradierten, überwiegend paternalistisch bestimmten Rollenverständnis von Arzt und Patient [2 Interner Link] treten kontrapunktische Entwicklungen entgegen, in denen der klassische Heilauftrag (Heilen, Lindern, Vorbeugen) immer mehr zugunsten einer Kunden-Leistungserbringer-Konstellation aufgeweicht wird. In Extremfällen ist ein "Patient" im engeren Sinne, wie z.B. bei der Präimplantationsdiagnostik nicht mehr auszumachen [3 Interner Link] und ergo auch kein Heilauftrag gegeben [4 Externer Link].

Das alte Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient wird teilweise abgelöst von einem Vertragsverhältnis mit genau definiertem Leistungsumfang. Der Patient wird zum Kunden, der Arzt zum Dienstleister, Praxis und Krankenhaus zum "Profit-Center" [5 Externer Download Link]. Der Umgang miteinander entspricht dann häufig dem von misstrauischen Geschäftspartnern.

Das Spannungsfeld zwischen Kundendienst, Wissenschaftlichkeit und Kostendämpfung, in dem die Medizin zunehmend agieren muss, erschwert die Identitätsfindung der Beteiligten ("Trilemma der modernen Medizin" [6]).

Die geforderten Leistungen sind nicht selten eher der Kategorie Lifestyle-Medizin zuzuordnen als dass sie auf medizinische Probleme ausgerichtet sind. Der Gesundheitsbegriff umfasst nunmehr auch Befindenskategorien wie "Beauty" und "Wellness". Neue Leitbegriffe wie "Lebensqualität", "Normalität", und "Optimierung" werden für Patientenansprüche und ärztliches Handeln zunehmend mitbestimmend.

"Anthropotechniken" treten an die Stelle eines angeblich ausgedienten Humanismus [7 Externer Link]. Manipulative Eingriffe in die Keimbahn werden von amerikanischen Wissenschaftlern (Gregory Stock [8 Interner Link]) in imperativer Form gefordert, obwohl die propagierten Methoden (z.B. Einfügen künstlicher Chromosomen) schon aus biologischen Gründen als problematisch zu bewerten sind. [9 Interner Link]

Wie die augenblickliche biopolitische Debatte zeigt, geraten gesellschaftlich akzeptierbare Begriffe von Gesundheit, Krankheit und Behinderung in eine Art definitorischen Schwebezustand. Die Subjektivität des Krankseins, das in hohem Maße von der "Selbstauslegung" [10] des Patienten bestimmt wird, und immer auch eine Störung der vertrauten Wirklichkeit zur Grundlage hat [11], gerät in Widerspruch zu anderen Wirklichkeitskonstruktionen (Gesellschaft, Wissenschaft). [12]

Es finden sich simultan konkurrierende Transfermethoden wissenschaftlicher Erkenntnisse in ärztliches Handeln, wie zum Beispiel EBM [13], Metaanalysen [14], computerbasierte Entscheidungen [15] oder Managed Care-Konzepte [16]. Sie erheben häufig den Anspruch, einzige - auch rechtlich relevante - Richtschnur für ärztliches Entscheiden und Handeln zu sein. Im außeruniversitären Bereich, vor allem aber in der ärztlichen Praxis spielt jedoch weiterhin die intuitive und erfahrungsgestützte Entscheidungsfindung eine beachtliche Rolle. Der "klinische Blick", der überwiegend auf "weichen", nicht quantifizierbaren Daten basiert, überspielt häufig den Einfluss sog. "harter" Daten. Auch heute ist Medizin nach wie vor im Wesentlichen eine Erfahrungswissenschaft.

Patientenentscheidungen ihrerseits basieren keineswegs nur auf beratungsgestützten Einflüssen oder sog. Aufklärungsgesprächen (informed-consent-Entscheidungen), sondern in nicht unbeträchtlichem Maße auf außerrationalen Urteilen. Aus diesem Beziehungsgeflecht zwischen Arzt und Patient resultieren ärztliche Entscheidungen und Handlungen, die alles in allem weniger auf rationalen Grundlagen beruhen, als allgemein angenommen. Sie sind das Ergebnis zirkulärer Prozesse zwischen Arzt und Patient. Solche gegenseitigen zirkulären Einflussnahmen sind im übrigen für die gesamte Arzt-Patient-Beziehung bestimmend. Intendierte Änderungen dieser Beziehung sind daher auch nur ausnahmsweise durch isolierte Einwirkungen auf der einen oder anderen Seite zu erreichen. Im wesentlichen sind sie das Resultat dialogischer Ansätze.

Paternalismus - Autonomie - Neopaternalismus

Peter Kampits definiert die Arzt-Patient-Beziehung als eine besondere, wenn nicht extreme Form der zwischenmenschlichen Beziehung, in der nicht nur ein hohes Maß an Intimität und Ausgesetztsein existieren, sondern mit der auch Eingriffe und Veränderungen in die Existenz des Menschen verbunden sein können, bei denen es im Extremfall buchstäblich um Leben und Tod geht. [17]

Diese Beziehung ist meist in eine wechselnde Kontextualität eingebettet, so dass ein stabiles Kräfteverhältnis zwischen Arzt und Patient nicht zu erwarten ist, sondern ein "Floaten", das kaum mit einer einzigen Modalität des gegenseitigen Umgangs durchgängig bewältigt werden kann. Eine einseitige Präferenz von Paternalismus bzw. Autonomie kann daher keineswegs der jeweilige "Königsweg" in der Beziehung zwischen Arzt und Patient sein.

Paternalismus wird allgemein als Eingriff in die Freiheit des Patienten verstanden. Für G. Dworkin ist Paternalismus eine "zwingende Einmischung in die Handlungsfreiheit eines anderen, die sich ausschließlich auf das Gute für einen anderen" [18] beruft. T. Pinkard versteht Paternalismus als "Eingriff in die Freiheit der Person, der durch einen Appell an das Wohl der betreffenden Person gerechtfertigt wird". [19]

Klaus Dörner beschreibt die paternalistische Haltung mit den Worten: "Ich als Arzt-Subjekt unterwerfe Dich mir und mache Dich zu meinem Patienten-Objekt, da Du auf diese Weise am schnellsten wieder Subjekt werden kannst." [20]

Das Amerikanische bedient sich gelegentlich der saloppen Formulierung der "father knows best"-Autorität. Zwischen sogenanntem "starken" und "schwachen" Paternalismus liegt zweifelsohne eine gewisse Grauzone. Auf weitere Unterscheidungen, wie zwischen aufgefordertem und unaufgefordertem Paternalismus (sollicited und unsollicited paternalism), soll hier nicht näher eingegangen werden.

Die Auffassung von Autonomie als Selbstbestimmung des Menschen wurzelt in der Aufklärung. So wie die politische Autonomie den Staat erst zum Staat macht, macht im Sinne der Philosophie Immanuel Kants die Autonomie des Menschen als Willensfreiheit diesen erst zur Person. Der autonome Wille steht dabei für die von jeder äußeren und inneren Fremdbestimmung (Heteronomie) befreite Vernunft. Kant erblickte in der Autonomie "den Grund der Würde der menschlichen und jeder vernünftigen Natur". [21]

Die ins Extrem getriebene Autonomie des Patienten findet ihre Grenze dort, wo sie jenseits aller Vernunft nur noch um ihrer selbst willen agiert und zur Blockade jeglichen ärztlichen Handelns wird. Sie führt in eine Situation der gegenseitigen Isolation und bringt eine gewisse emotionale Kälte in die Beziehung zwischen Arzt und Patient. Der umfassend aufgeklärte Patient sieht sich schließlich in einer Situation der Einsamkeit, die durch seine absolute Entscheidungsfreiheit nicht unbedingt aufgehoben wird. Der Arzt wiederum gerät (ungewollt oder gewollt!) in eine Unterwerfungsrolle, die sich am radikalsten in dem von Lévinas wiederholt verwendeten Sprachbild: "Ich bin die Geisel des Anderen" [22] ausdrückt.

Der These, wonach die Autonomie über das eigene Leben den zentralen Inhalt der Menschenwürde ausmacht, stehen andere Werthaltungen gegenüber, nach denen Autonomie und Würde des Menschen gerade erst durch die Fürsorge für den anderen konstituiert werden. [23 Externer Link] Am Beispiel von Patientenverfügungen wird deutlich, dass in dem Maß, wie über den Arzt durch den Willen des Patienten rechtsverbindlich verfügt wird, dessen Vorstellung von Therapieverzicht und Therapieabbruch umzusetzen, die Arzt-Patient-Beziehung ausgehöhlt oder gar zerstört wird. [24]

Im heutigen Verständnis der Arzt-Patient-Beziehung verschiebt sich "Das Wohl des Kranken als oberstes Gesetz" zum Prinzip "Der Wille des Patienten ist oberstes Gesetz". [25 Externer Download Link] Für diese Entwicklung ist auch die zunehmende Verrechtlichung der modernen Medizin mitverantwortlich. Die Autonomie des Patienten gewinnt Vorrang vor dem Prinzip der Fürsorge. Der frühere Paternalismus, der dem Arzt die väterlich-bestimmende Rolle zumisst, erscheint als überholt. Als Ideal gilt der "mündige" Patient, der aufgeklärt, eigenverantwortlich und selbstbestimmt die Richtlinien seiner Behandlung vorgibt. [26] Wobei freilich gilt, dass es den mündigen Patienten nicht ohne den mündigen Arzt gibt (T. v. Uexküll). [27]

Aber wie belastungsfähig und leistungsfähig sind Patientenautonomie und Mündigkeit im Ernstfall wirklich? Ist ein Patient fähig mitzuentscheiden, welcher Typus einer künstlichen Herzklappe oder eines Herzschrittmachers für ihn der beste ist? Will der umfassend aufgeklärte Krebspatient bei der Entscheidung zwischen Chemotherapie oder Bestrahlung tatsächlich nur auf sich selbst gestellt sein? Erlebt er sich auch dann noch als "mündig" oder zu allererst doch als krank? Wie rasch kann Selbstbestimmtheit in Sich-Selbst-Überlassensein umschlagen? Schotsmans hat von der Fiktion einer Art "olympischen Selbstkontrolle" gesprochen, zu der ein hinfälliger Kranker kaum (mehr) fähig sein dürfte. [28]

Eine symmetrische Arzt-Patient-Beziehung, die oft als idealtypisch angesehen wird, existiert realiter nur ausnahmsweise. Die Analyse von Visitengesprächen lässt häufig eine überraschend starke Asymmetrie erkennen. Diese kommt schon rein numerisch im Überwiegen der Gesprächsanteile des Arztes (bis zu 80%) im Vergleich zu denen der Patienten zum Ausdruck. [29] Bliesener und Köhle nannten die traditionelle Visite schlichtweg einen "verhinderten Dialog". [30] Das Versagen des Visitengesprächs hat selbst in die Belletristik (z.B. Thomas Bernhard [31]) Eingang gefunden.

Fraglich ist, ob eine Symmetrie von Patientenseite überhaupt durchgängig erwünscht ist. Die klinische Erfahrung zeigt, dass Arzt-Patient-Beziehungen fast immer asymmetrisch sind. Nicht zwei Gleiche stehen sich gegenüber, sondern ein hilfesuchender Mensch und einer, der kompetent ist, diese Hilfe zu geben. [32 Externer Download Link] Auf Diskrepanzen zwischen Patientenautonomie und Patientenwünschen haben Eibach und Schaefer hingewiesen. [33] Die Selbstbestimmung im Arzt-Patient-Verhältnis ist angesichts der wachsenden Undurchschaubarkeit diagnostischer und therapeutischer Eingriffe im Gefolge medizinischer Hochtechnologien und der daraus resultierenden steigenden Entscheidungsbefugnis der Ärzte als Mythos bezeichnet und mit dem Begriff des Neopaternalismus beschrieben worden. [34] Dass dieser kein stolzes "Selbstbild" darstelle, sondern aus Strukturen entspringe, an denen die Ärzte selber leiden, hat Christiane Grefe [35 Externer Link] betont.

Die Anschauung französischer Ärzte des neunzehnten Jahrhunderts, wonach der ideale Arzt ein "père maternel" sei, dem es gelingt, die Wesenszüge des lenkenden Vaters und der verstehenden Mutter in sich zu vereinigen, scheint auch heute ihre Gültigkeit nicht verloren zu haben, sondern im Zuge einer sich wandelnden Medizin nach neuer Verwirklichung zu drängen.

Kommunikationsstörungen und -defizite

Kommunikative Beziehungen sind der Stoff aus dem die Arzt-Patient-Beziehung lebt und die ihren "Kammerton" bestimmen. Es herrscht Einigkeit, dass in der Alltagspraxis erhebliche kommunikative Defizite bestehen, die häufig von ärztlicher Seite nicht wahrgenommen werden. [36 Interner Link]

Die Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg hat unter anderen auf diesen Sachverhalt, insbesondere auf Mängel in der Patienteninformation, vor kurzem hingewiesen. [37] Obwohl der Wunsch nach umfassender und verständlicher Information von 93% aller befragten Patienten als "sehr wichtig" eingestuft wird, nehmen sogar nach eigener Einschätzung nur knapp 30 Prozent der Ärzte den Wunsch der Patienten nach Information adäquat wahr.

Kommunikationsstörungen und -defizite im Arzt-Patient-Gespräch führen nachweislich zu einer Reihe unerwünschter Effekte, die durchweg die Arzt-Patient-Beziehung direkt oder indirekt beeinflussen:

- Mangelhafte Compliance [38]
- Gestörtes Vertrauensverhältnis [39 Externer Link]
- Bruch der Arzt-Patient-Beziehung, Arztwechsel [40 Externer Link]
Ein wesentlicher Grund für die kommunikative Inkompetenz vieler Ärzte ist eine defizitäre Ausbildung mit zunehmender Tendenz. Eine aktuelle Studie der Universität Göttingen an 700 Studenten zeigt, dass es analog zur Zunahme an "biologischem Wissen" im Verlauf des Studiums zu einem Verlust an kommunikativer und psychosozialer Kompetenz kommt. [41 Externer Link] Dieser Mangel wird häufig von den Studierenden selbst erkannt und beklagt. [42 Externer Link]

Bestrebungen, die ärztliche Ausbildung in Deutschland dem internationalen Standard anzugleichen, reichen weit zurück. Eine von der Robert-Bosch-Stiftung ins Leben gerufene "Arbeitsgruppe Medizinerausbildung (Murrhardter Kreis)" legte schon 1989 ein Buch über "Das Arztbild der Zukunft" [43] vor, in dem unter anderem eine stärkere Berücksichtigung der psychosozialen Aspekte von Krankheit gefordert wurde.

Über ein Jahrzehnt lang wurde in Deutschland über eine Änderung der Approbationsordnung für Ärzte diskutiert. Zahlreiche Gremien und Organisationen wie der Deutsche Ärztetag, der Medizinische Fakultätentag (MFT) oder die Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen Fachgesellschaften (AWMF) befassten sich mit diesem Thema. Die jahrelange erfolglose Diskussion wurde von vielen in der Lehre engagierten Hochschullehrer als enttäuschend bewertet und die Einführung der "Modellklausel" 1999 als zu kleiner Schritt angesehen [44]. Diskutiert wird auch, ob das geringe Interesse an Ausbildungsfragen in der Medizin als "typisch deutsches" Phänomen [45] zu bewerten ist.

Das dialogische Prinzip - Überwindung der Alternative zwischen Paternalismus und Autonomie

Das dialogische Denken wurde in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts von den "Philosophen des Dialogs" wie F. Ebner, M. Buber, F. Rosenzweig, G. Marcel und V. v. Weizsäcker entwickelt, dem auch der Begriff der "sprechenden Medizin" zugeschrieben wird. Von Emmanuel Lévinas wurde der Anspruch, durch den Anderen für den Anderen einzustehen, in seine Stellvertretung (Substitution) einzutreten oder die "Geisel des Anderen" zu sein, formuliert. [46] Von dem österreichischen Philosophen Peter Kampits wird das dialogische Prinzip in der Arzt-Patient-Beziehung als Überwindung der Alternative zwischen Paternalismus und Autonomie verstanden. [47]

Kampits betont, dass das dialogische Denken zwar in Nachbarschaft zum traditionellen, dem jüdisch-christlichen Denken entstammenden Ansatz der Personalität oder Personenhaftigkeit des Menschen steht, aber noch weiter geht, indem es im dialogischen Geschehen aus der Begegnung und Beziehung zwischen zwei Menschen diese Personalität gleichsam erst entstehen lässt. Dialogisches Denken ist von Anfang an auf Gegenseitigkeit in der Beziehung begründet. Das für die Arzt-Patient-Beziehung Wesentliche wurzelt in der im dialogischen Denken geforderten Grundhaltung, die unter anderem Zuwendung, aktives Hören und Gesprächsfähigkeit einschließt. Die Untrennbarkeit von Vertrauen und Zuwendung zum Du wird als wesentliche Voraussetzung für dialogisch motiviertes Handeln verstanden.

Ausbildungsziel: Stärkung der dialogischen Kompetenz

Der Verwirklichung des dialogischen Prinzips stehen allerdings bei realistischer Betrachtung Entwicklungen entgegen, die für den Wandel der heutigen Medizin typisch und wesentlich mitverantwortlich sind, wie beispielsweise ökonomische Zwänge, Allokationsprobleme und Verrechtlichungstendenzen.

Noch bestimmt weiterhin die vielfach beschworene "Silent World of Doctor and Patient", die der Psychoanalytiker und Jurist Jay Katz [48] in dem gleichnamigen Werk bereits 1984 subtil und sachkundig dargestellt hat, die Beziehung zwischen Arzt und Patient.

Andererseits liegt gerade in der Stärkung des dialogischen Prinzips, in der Förderung kommunikativer Kompetenzen durch Studium und Ausbildung, in der Höherbewertung sprachlicher Fähigkeiten die Chance, diese Entwicklungen in Grenzen zu halten und eine Neustrukturierung der Arzt-Patient-Beziehung einzuleiten. [49 Interner Link]

Es muss bedenklich stimmen, dass aktuelle Analysen der Ausbildungsziele zum Arzt ("Wunschzettel für die Reform") die Notwendigkeit einer guten Gesprächsführung zwar bejahen, zugleich aber davon ausgehen, dass diese Fähigkeiten noch am ehesten durch die Vorbildfunktion älterer Kollegen und Vorgesetzter vermittelt werden könne (oder auch nicht) [50 Externer Link]. Eine strukturierte Ausbildung mit dem Ziel, die dialogischen Fähigkeiten der angehenden Ärzte zu entwickeln und zu stärken, wird nicht mit dem dringend notwendigen Nachdruck gefordert, obwohl hier eine Schlüsselfunktion zur Verbesserung der Arzt-Patient-Beziehung liegt.

Die Stärkung der kommunikativen und damit psychosozialen Kompetenz während des Medizinstudiums und der ärztlichen Ausbildung stellt einen wesentlichen und unverzichtbaren Ansatz zur Verbesserung des Arzt-Patient-Verhältnisses dar und sollte durch berufliche Gremien, Politik und Gesetzgebung aktiv gefördert werden. [51]

Ein Editorial des British Medical Journals vom 6. April 2002 widmet sich dem weltweiten Phänomen der unzufriedenen Ärzte ("unhappy doctors"). [52 Externer Link] Arbeitslast und unzureichende Bezahlung scheinen, obwohl wichtige Faktoren, das Problem nicht vollständig zu erklären. Als Schlüsselfaktor wertet die Analyse einen Wandel in dem Verhältnis zwischen Beruf, Patienten und der Gesellschaft, der ursächlich dafür verantwortlich ist, dass der Beruf heute nicht mehr dem entspricht, was die Ärzte sich ursprünglich erwartet hatten.

Ein Lösungsansatz wird in einer neuen Berufsaufassung gesehen, in der eine ausgewogene Balance zwischen Autonomie (des Patienten) und Verantwortlichkeit (des Arztes) besteht. [53 Externer Link] Zur Etablierung dieses Gleichgewichts, kann das dialogische Prinzip Wesentliches beitragen.
Link: 
Abschlussbericht der Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" vom 14.05.2002
URL: http://dip.bundestag.de/btd/14/090/1409020.pdf  -  Externer Externer Link

Literatur:

[1] Kerschensteiner, H., zit. n. Wittern, R. (1991) Kontinuität und Wandel des Arztbildes im Abendland. In: Geßler, U., Pilgrim, R., & Gmelin, B. (Hrsg.) Der Arzt. München-Deisenhofen.

[2] Geisler, L. S. (1993) Arzt und Patient - Begegnung im Gespräch, 3. Auflage. Frankfurt a.M. URL: http://www.linus-geisler.de/monografien/monograf.html#ap - Interner Interner Link

[3] Geisler, L. S. (2001a) Kinder auf Bestellung. Frankfurter Rundschau, 10. Mai 2001. URL: http://www.linus-geisler.de/artikel/0105fr_pid.html - Interner Interner Link

[4] Siehe C 1 Präimplantationsdiagnostik des Abschlussberichtes der Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin". 
URL: http://dip.bundestag.de/btd/14/090/1409020.pdf - Externer Externer Download-Link

[5] Kloiber, O. (2001) Der Patient als Kunde - Der Arzt als Dienstleister. Beitrag zur öffentlichen Dialogveranstaltung der Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin“ in Jena am 2. Juli 2001. URL: http://www.bundestag.de/gremien/medi/medi_oef5_1.html - [Broken Link/Link zerbrochen]
Aktualisierter Link: http://www.bundestag.de/ftp/pdf_arch/med_kloi.pdf - Externer Download Externer Download Link

[6] Bauer, A. W. (2001) Das Trilemma der Medizin zwischen Wissenschaftlichkeit, Kostendämpfung und Kundendienst. In: Engelhardt, Dietrich von; Loewenich, Volker von; Simon, Alfred (Hrsg.) Die Heilberufe auf der Suche nach ihrer Identität. Jahrestagung der Akademie für Ethik in der Medizin e.V. Frankfurt 2000. Münster/Hamburg/Berlin/London, S. 94-106.

[7] Sloterdijk, P. (1999) Regeln für den Menschenpark. Ein Antwortschreiben zum Brief über den Humanismus. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 
URL: http://www.zeit.de/1999/38/199938_sloterdijk3.html - [Broken Link/Link zerbrochen]
Alternativer Link z.B. unter: http://www.wlb-stuttgart.de/referate/philosoph/sloter.html - Externer Externer Link

[8] Stock, G. (2001) Unvermeidbare Designer-Babys. Financial Times Deutschland, 6. Dezember 2001. URL: http://www.linus-geisler.de/artikel/0112ftd.html - Interner Interner Link

[9] Geisler, L. S. (2001b) Designer-Babys ohne Rücknahmegarantie. Financial Times Deutschland, 18. Dezember 2001 - 
URL: http://www.linus-geisler.de/artikel/0112ftd.html - Interner Interner Link

[10] Lanzerath, D. (2000) Krankheit und ärztliches Handeln. Zur Funktion des Krankheitsbegriffs in der medizinischen Ethik. Freiburg/München. Vgl. hierzu S. 256-263.

[11] Pflanz, E. (1993) Krankheit als Störung einer vertrauten Wirklichkeit. Deutsches Ärzteblatt, 90(19), B-1023.

[12] Berger, P. L. & Luckmann, T. (1969) Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Frankfurt a.M.

[13] Bock, K.D. (2001) Die Evidenz (in) der Evidence-Based Medicine. Medizin und Klinik, 96, S. 300-304.

[14] Maumann, M. (1999) Metaanalyse klinischer Studien: Stein der Weisen oder Stein des Anstoßes? Medizin und Klinik, 94, Suppl II, S.17-20.

[15] Mazoué, J.G. (1990) Diagnosis without doctors. The Journal of Medicine and Philosophy, 15(6), S. 559-579.

[16] Butzlaff, M. E. et al. (1998) Managed Care im Brennpunkt. Die Organisationsform: Folgen für Patienten und Ärzte. Gesundheitswesen, 60, S. 279-282.

[17] Kampits, P. (1996) Das dialogische Prinzip in der Arzt-Patienten-Beziehung. Passau.

[18] zit. n. Kampits (1996).

[19] zit. n. Kampits (1996).

[20] Dörner, K. (2001) Der gute Arzt. Lehrbuch der ärztlichen Grundhaltung. Stuttgart/New York, S. 71. Dörner fährt fort: "Da ich einen uneinholbaren Vorsprung an Kompetenz, Wissen und Macht habe, ist es vernünftig, wenn Du Dich mir aussetzt, Dich mir völlig anvertraust."

[21] Kant, I. (1980) Kritik der praktischen Vernunft. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Werkausgabe. Frankfurt a. M., Bd. VII.

[22] Lévinas, E. (1993) Totalität und Unendlichkeit. Freiburg i.Br.

[23] Übersicht bei Dörner, K. et al. (2002) Patientenverfügungen: Kein "Sterben in Würde". Eine Aufwertung der Ethik der Autonomie des Einzelnen bedeutet eine Dominanz des Stärkeren über die Ethik des Schwachen. Deutsches Ärzteblatt, 99(14), A-917. URL: http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=31074  Externer Externer Link

[24] Dörner (2001).

[25] Luther, E.(2001) Chancen und Risiken der Patientenautonomie. Beitrag zur öffentlichen Dialogveranstaltung der Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" in Jena am 2. Juli 2001. URL: http://www.bundestag.de/gremien/medi/medi_oef5_1.html - [Broken Link/Link zerbrochen]
Aktualisierter Link: http://www.bundestag.de/ftp/pdf_arch/med_luth.pdf - Externer Download Externer Download Link

[26] Baum, E. et al. (1996) Erwartungen der Patienten und ärztliches Handeln in Allgemeinpraxen. In: Lang, E. & Arnold, K (Hrsg) Die Arzt-Patientenbeziehung im Wandel. Schriftenreihe der Hamburg-Mannheimer-Stiftung für Informationsmedizin, Bd. 8. Stuttgart, S. 137-150.

[27] Uexküll, T.v. (1994) Rückmeldung als Modell interpersonaler Beziehungen: Psychosomatische Medizin als Beziehungsmedizin. In: Hahn, P. et al. (Hrsg.) Modell und Methode in der Psychosomatik. Weinheim.

[28] Schotsmans, P.T. (2002) Der Mensch als Schöpfer. In: Herbert Quandt-Stiftung (Hrsg.) Wem gehört der Mensch? 17. Sinclair-Haus Gespräch. Bad Homburg v.d. Höhe.

[29] Nordmeyer, J, et al. (1982) Verbale und nonverbale Kommunikation zwischen Problempatienten und Ärzten während der Visite. Medizinische Psychologie, 8, S. 20-39.

[30] Bliesener, T. & Köhle, K. (1978) Die ärztliche Visite - Chance zum Gespräch. Opladen.

[31] "Die Visite, der Höhepunkt an jedem Tag, war gleichzeitig immer die größte Enttäuschung gewesen." Bernhard, T. (1978) Der Atem. Frankfurt a.M.

[32] Tanner, K. (2001) Akzeptierte Abhängigkeit? Zur Rolle des Vertrauens in der Arzt-Patienten-Beziehung. Beitrag zur öffentlichen Dialogveranstaltung der Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" in Jena am 2. Juli 2001. URL: http://www.bundestag.de/gremien/medi/medi_oef5_1.html - [Broken Link/Link zerbrochen]
Aktualisierter Link: http://www.bundestag.de/ftp/pdf_arch/med_tann.pdf  - Externer Download Externer Download Link

[33] Eibach, U. & Schaefer, K. (2001) Patientenautonomie und Patientenwünsche. Ergebnisse und ethische Reflexion von Patientenbefragungen zur selbstbestimmten Behandlung in Krisensituationen. Medizinrecht, 1, S. 21-28.

[34] Feuerstein, G. & Kuhlmann, E. (Hrsg) (1999) Neopaternalistische Medizin. Der Mythos der Selbstbestimmung im Arzt-Patient-Verhältnis. Bern.

[35] Grefe, C. (2000) "Wie geht's uns denn heute?". Das Krankenhaus der Zukunft, Teil III. Die Zeit, 38/2000. 
URL: http://www.zeit.de/2000/38/Wissen/200038_arzt-patient.html - Externer Externer Link

[36] Geisler, L. S. (1988) Arzt und Patient im Gespräch. Wirklichkeit und Wege. Deutsches Ärzteblatt, 50, S. 3568-3574;
Geisler, L. S.(1997) Sprachlose Medizin? Imago Hominis, IV(1). URL: http://www.linus-geisler.de/artikel/97imagohominis_sprachlose.html - Interner Interner Link

[37] Dierks, M. L. et al. (2001) Patientensouveränität - Der autonome Patient im Mittelpunkt. Arbeitsbericht Nr. 195 der Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg. Stuttgart. PDF-Download unter URL: http://www.ta-akademie.de/deutsch/bestellungen/typDBAusg.asp?SID=1797767936-001524-04062002-1492252962&feld=Arbeitsberichte - [Broken Link/Link zerbrochen]

[38] Sakett, D. L., Hayner, B. & Taylor, D.W. (1982) Compliance. Handbuch. München/Wien.

[39] Goedhuys, J. & Rethan, J. J. (2001) On the relationship between the efficiency and the quality of the consultation. A validity study. Family Practice, 18(6), S. 592-596. Abstract-URL: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/htbin-post/Entrez/query_old?uid=11739343&form=6&db=m&Dopt=b - Externer Externer Link

[40] Keating N. L. et al. (2002) How are patient's specific ambulatory experiences related to trust, satisfaction, and considering changing physicians? Journal of general internal medicine: official journal of the Society for Research and Education in Primary Care Internal Medicine, 17(1), S. 29-39.
Abstract-URL: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/htbin-post/Entrez/query_old?uid=11903773&form=6&db=m&Dopt=b - Externer Externer Link

[41] "Studium: Patientengespräche immer unwichtiger“. Ärzte Zeitung, 30. Mai 2001. 
URL: http://www.aerztezeitung.de/docs/2001/05/30/099a2004.asp?nproductid=1653&narticleid=162757 - Externer Externer Link

[42] Andres,  M.-S & Gaide, P. (2001) Kein Fleisch, kein Blut. Medizinstudenten klagen über zu wenig Praxis während der Ausbildung. Die Zeit, 52/2001, 19. Dezember 2001. URL: http://www.zeit.de/2001/52/Hochschule/200152_c-med-caseport.html - Externer Externer Link

[43] Arnold, M. et al. (1995) Das Arztbild der Zukunft, Analysen künftiger Anforderungen an den Arzt, Konsequenzen für die Ausbildung und Wege zu ihrer Reform, 3. Auflage. Gerlingen.

[44] Pabst, R. (2000) Steigt das Interesse an Studien zu Fragen der medizinischen Ausbildung in Deutschland? Deutsche medizinische Wochenschrift, 125, S. 716. URL:http://www.thieme.de/dmw/inhalt/dmw2000/dmw0023/beitrag/ed185.htm  - [Broken Link/Link zerbrochen]

[45] Internationale Kongresse wie die jährlichen Treffen der Association of Medical Education in Europe (AMEE) mit mehreren hundert Teilnehmern aus aller Welt weisen eine notorisch geringe deutsche Beteiligung auf. Bei der "Ottawa Conference on Medical Education" im Februar 2000 waren unter über 800 Teilnehmern nur 4 aus Deutschland (Angaben von Pabst 2000).

[46] Lévinas 1993.

[47] Kampits 1996.

[48] Katz, J. (1984) The Silent World of Doctor and Patient. New York.

[49] Geisler, L. S. (2000) "Die Liebe verkümmert". Wohin steuert die Hightech-Medizin? DER SPIEGEL, 17. April 2000. 
URL: http://www.linus-geisler.de/artikel/0004spiegel_interview.html - Interner Interner Link

[50] Jocham, D., Schulze, J. & Schmucker, P. (2002) Medizinstudium: Wunschzettel für die Reform. Deutsches Ärzteblatt, 99(14), A-912. 
URL: http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=31072 - Externer Externer Link

[51] Geisler, L. S. (2000); Stein, R.(2001) Was sollen Mediziner lernen? Frankfurter Allgemeine Zeitung. 18. Juli 2001.

[52] Edwards, N. et al. (2002) Unhappy doctors: what are the causes and what can be done? BMJ, 324, S. 835-838. 
URL: http://bmj.com/cgi/reprint/324/7341/835.pdf - Externer Externer Link

[53] Ham, C. & Alberti, K. G. (2002) The medical profession, the public, and the government. BMJ, 324, S. 838-842. 
URL: http://bmj.com/cgi/reprint/324/7341/838.pdf - Externer Externer Link
 


Geisler, Linus: Arzt-Patient-Beziehung im Wandel - Stärkung des dialogischen Prinzips. Beitrag im Abschlussbericht der Enquete-Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" vom 14.05.2002, S. 216-220
Artikel-URL: http://www.linus-geisler.de/art2002/0514enquete-dialogisches.html

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