Human kind cannot bear
very much reality. |
T.S. Eliot
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Was ist Wahrheit? |
Pilatus (Johannes
18,38)
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Die Stunde der Wahrheit
Die Begegnung zwischen dem Arzt und dem Sterbenden
schließt immer auch die "Stunde der Wahrheit" ein. Sie ist nicht
immer identisch mit der Stunde der Aufklärung. Es kann auch jener
Zeitpunkt sein, wo der Patient, ohne es direkt in Worte zu kleiden, von
seinem Arzt wissen will, wie es um ihn steht, und der Arzt ihm eine Antwort
geben muss, die ebenfalls nicht unbedingt nur in Worte gekleidet ist.
Nach einer Befragung des Mainzer Rechtsinstituts
bei niedergelassenen Ärzten (1973) klären 89,4% ihre Patienten
bei leichten Befunden unaufgefordert auf. Eine Aufklärung bei unheilbar
progredienten Krankheiten erfolgt nur in 11,2% und bei bösartigen
Tumoren nur in 8,9%. Der Ehepartner hingegen wird bei unheilbaren Erkrankungen
in 96,8% vom Arzt aufgeklärt. Untersuchungen von HINTON (1976) haben
ergeben, dass rd. 75% aller Patienten "wissen", dass sie todkrank sind.
Daraus resultiert jener ebenso unerträgliche wie unwürdige Zustand,
den Leo TOLSTOI im "Der Tod des Iwan Iljitsch" so treffend beschreibt:
"Die Hauptqual für Iwan Iljitsch war
die Lüge - jene aus irgendeinem Grunde von allen anerkannte Lüge,
dass er nur krank sei, nicht aber sterbe, und dass er sich nur ruhig halten,
die Kur durchführen müsse, damit alles wieder sehr gut werde.
Er aber wusste: Wir konnten tun, was wir wollten, es würde doch nichts
mehr herauskommen als noch qualvollere Leiden und der Tod. Ihn quälte
diese Lüge; es quälte ihn, dass man nicht eingestehen wollte,
was alle wussten und was auch er wusste, und dass man ihn zwingen wollte,
an dieser Lüge teilzunehmen. Die Lüge, dieser an ihm am Vorabend
seines Todes verübte Betrug, die Lüge, welche dieses schreckliche,
feierliche Ereignis seines Todes auf das Niveau all ihrer Besuche und Gardinen
sowie des Störs zum Mittagessen herabdrücken sollte ... Das war
schrecklich, qualvoll für Iwan Iljitsch. Und seltsam! Er war viele
Male, während sie mit ihm alle diese törichten Dinge anstellten,
um ein Haar nahe daran, sie anzuschreien: So hört doch auf zu lügen,
Ihr wisst es, und ich weiß es, dass ich sterbe. So hört doch
wenigstens auf zu lügen! Aber er hatte nie den Mut, dies zu tun."
Wie viele Menschen wirklich wissen wollen,
dass
sie unheilbar krank sind, lässt sich allenfalls statistisch erfassen,
d. h., es muss in der konkreten Situation des einzelnen immer wieder neu
herausgefunden werden. Eine vor kurzem abgeschlossene Studie der Hamburg-Mannheimer-Stiftung
für Informationsmedizin ergab, dass 59% aller Befragten einer repräsentativen
Umfrage vom Arzt die volle Wahrheit auch dann erwarten, wenn sie an einer
"unheilbaren" oder "tödlichen" Krankheit leiden.14% der Befragten
sprachen sich klar dagegen aus, die ganze Wahrheit zu erfahren. Die Bereitschaft,
die volle Wahrheit zu erfahren, war bei Männern größer
als bei Frauen, ebenso bei jüngeren Menschen und solchen mit höherer
Vorbildung.
Die Ergebnisse solcher bei Gesunden durchgeführten
Studien sind nur mit größter Vorsicht auf den bereits wirklich
Erkrankten zu extrapolieren. Selbst wenn man jedoch davon ausgeht, dass
diese Ergebnisse grundsätzlich übertragbar sind, so besagen sie
in erster Linie, dass nur etwas mehr als die Hälfte aller Menschen
wirklich die volle Aufklärung wünscht.
Die klassische Fragestellung: "Die
Wahrheit sagen - ja oder nein?" ist bereits im Ansatz falsch gestellt und
kann in dieser alternativen Form nicht befriedigend beantwortet werden.
Wer die Frage mit "Nein" beantwortet, verkennt, dass der Patient häufig
schon weiß, meistens jedoch ahnt, wie es um ihn steht. Diese Ahnung
oder diese Art "Vorwissen" kann viele Wurzeln haben: die breite Aufklärung
durch die Medien, Todesfälle an Krebs in der eigenen Umgebung, das
Verhalten des Arztes und des Pflegepersonals, die empfohlenen oder bereits
in Angriff genommenen Therapiemaßnahmen. Die Tendenz, die Frage nach
der Wahrheit mit Nein zu beantworten, entspringt meist der eigenen Angst
des Arztes und weniger der Vorstellung, dass hier "... das Gebot der Wahrhaftigkeit
in Konkurrenz mit dem Gebot der Liebe..." tritt (MARTINI). Das Nein des
Arztes aber versetzt den ahnenden oder bereits wissenden Patienten genau
in die Situation des Iwan Iljitsch.
Wird die Frage mit "Ja" beantwortet, dann
wäre dieses Ja ein wirkliches Ja ohne Wenn und Aber, wenn man das
Erleben des Patienten als Adressaten der Antwort ausklammert; "denn", so
ADLER und HEMMELER, "es wird übersehen, dass die Auseinandersetzung
des Patienten mit der Tatsache, an Krebs erkrankt zu sein, einen Prozess
darstellt mit einem zeitlichen Verlauf, währenddem der Patient aus
seiner individuellen Wirklichkeit heraus ,Tatsachen' fortwährend anders
erlebt. Es gibt also gar keine ,Wahrheit', die einfach mitgeteilt werden
kann. Diese Art, mit der Frage umzugehen, schließt den Patienten
aus." Nach diesen Überlegungen stellt sich aber wahrscheinlich noch
drängender die Frage: Wie soll sich der Arzt in der Stunde der
Wahrheit verhalten?
Zunächst: Meist sollte es die "Stunde"
der Wahrheit gar nicht geben, denn es ist "zu bedenken, dass diese Aufklärung
ein langwieriger Prozess mit wechselnder Bereitschaft ist, der Geduld und
sehr viel persönliches Einfühlungsvermögen verlangt" (H.
E. BOCK).
Der 1. Schritt besteht darin, in Gesprächen
herauszufinden, ob dieser Patient in dieser Phase seiner
Erkrankung überhaupt aufgeklärt werden will. Dabei ist weiter
zu bedenken, dass die Bereitschaft des Patienten, sich vielleicht
nur in groben Zügen mit der wirklichen Natur seiner Erkrankung auseinander
zusetzen, phasenabhängig wechseln kann. Der Arzt muss also
fähig sein, auf die "Gunst der Stunde" zu warten, die für das
aufklärende Gespräch am besten geeignet erscheint.
Wenn nicht dringende medizinische Aspekte
es notwendig machen (z. B. Notfalloperation), soll der Patient nicht zu
dem Zeitpunkt aufgeklärt werden, der aus der Sicht des Arztes als
der günstigste erscheint, sondern dann, wenn die bestmögliche
Bereitschaft und Aufnahmefähigkeit beim Patienten zu erwarten
ist.
Ein weiteres Ziel aufklärender Gespräche
ist es, möglichst genau herauszufinden, welche Ahnungen den Patienten
bereits erfüllen, über welche Vorinformationen er möglicherweise
schon verfügt und vor allem, wie weitgehend er wirklich informiert
werden möchte.
Die Grundregel lautet, dass
kein
Patient weiter aufgeklärt werden sollte, als er es selbst möchte.
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Zwar ergibt sich für den Arzt die
Rechtspflicht der Diagnosevermittlung aus dem Behandlungsvertrag zwischen
ihm und dem Patienten. Sie gilt allerdings mit der wesentlichen Einschränkung:
Sofern der Patient eine ernsthafte Information wünscht.
Aufklärungsgespräche sollten
möglichst nicht am Abend stattfinden, damit der Patient nicht
dem Gewicht der Wahrheit in der Nacht hilflos ausgesetzt ist. Das Gespräch
in den Vormittagsstunden ermöglicht es ihm, wenn er es wünscht,
im Laufe des Tages nachzufragen und weitere Informationen zu bekommen.
Das Spektrum der " Wahrheit" umfasst
einen weiten Bogen. Auf der einen Seite kann Wahrheit die nicht einmal
in konkrete Worte gefasste Bestätigung der Ahnung, krebskrank zu sein,
bedeuten, auf der anderen Seite die Präzision bis hin zur histologischen
Diagnose. Auch der vollkommen aufgeklärte Patient
muss mit größter Behutsamkeit
auf seine Krankheit angesprochen werden. Der Arzt kann niemals sicher sein,
ob der Kranke sich nicht gerade in einer Phase des Nicht-wahrhaben-Wollens
und der Auflehnung mit Flucht in irreale Vorstellungen befindet, also in
jenem scheinbar merkwürdigen Zustand des gleichzeitigen Wissens und
Nichtwissens, der für Außenstehende oft unbegreiflich erscheint.
Wird in dieser Situation schonungslos über die "Wahrheit" gesprochen,
kann dies verheerende Folgen nach sich ziehen.
Immer muss der Arzt sich einfühlend
klar darüber werden, wie grundsätzlich unerhört und unfasslich
auch die noch so vorsichtig formulierte Wahrheit ist: Ich muss sterben,
und keiner kann mich retten. Ein Führen des Patienten durch die schwierigen
letzten Phasen seines Lebens, ein ehrliches Beistehen, die Mithilfe beim
Reifwerden zum Tode sind an bestimmte, individuell höchst variable
Grade der Einsicht in die Natur und Bedeutung der Todeskrankheit gebunden.
Was wirklich zählt, ist nicht die
Entscheidung des Arztes, die "Wahrheit" zu sagen oder zu verschweigen,
sondern die Wahrhaftigkeit seines Umgangs mit dem sterbenden Patienten.
Wahrhaftigkeit bedeutet, dass er sich ihm nicht entzieht, dass er herausfindet,
wie weit der Patient sich rational und emotional seiner Krankheit annähern
will und kann, dass er sich nicht in das unwürdige und vergiftete
Klima von Lüge, Theater und Täuschung hineinziehen lässt.
Im Idealfall handelt es sich in den Gesprächen zwischen Arzt und Patient
um "die Begegnung von zwei Menschen, die ohne Furcht und Vorbehalte miteinander
sprechen".
Aufklärung kann daher niemals das
Durchbrechen aller Dämme und Schutzwälle bedeuten, die der Mensch
gerade dann braucht, wenn er mit der Aussicht auf den nahen Tod konfrontiert
wird. Die Schutzwälle der Hoffnung, der Hilfsbereitschaft und der
Zuwendung müssen unter allen Umständen erhalten bleiben.
Die Aufklärung von Patient und Familie
soll
möglichst wenig voneinander abweichen, d.h. sich im wesentlichen auf
dem gleichen Stand bewegen. Nur so ist eine sinnvolle Einbeziehung der
Familie in die Betreuung des Patienten gewährleistet. Asymmetrien
des Wissensstandes bei Patient und Angehörigen bedeuten meist eine
zusätzliche schwere Belastung des Patienten, verstärken seine
Isolation und machen eine Wahrhaftigkeit der Gespräche unmöglich.
Diese Einbindung der Angehörigen während der Betreuung in der
letzten Lebensphase des Patienten ist von großer Wichtigkeit. Erst
wenn eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Arzt, Patient und
Familie
aufgebaut worden ist, können alle Quellen der psychischen Stützung
des Todkranken voll ausgeschöpft werden. Auch hier muss mit großer
Behutsamkeit vorgegangen werden.
Leitlinien für die
Aufklärung bei unheilbaren Krankheiten
-
Wahrhaftigkeit hat Vorrang
vor der sogenannten vollen Wahrheit.
-
Die "Gunst der Stunde" abwarten.
-
"Vorwissen und Vorahnungen"
herausfinden.
-
Nicht aufklären gegen
den Wunsch des Patienten.
-
Nicht weiter aufklären,
als
der Patient es will und erträgt.
-
Möglichst gleicher Stand
der Aufklärung bei Patient und Angehörigen.
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An dieser Stelle ist es wichtig, sich noch
einmal zu vergegenwärtigen, dass auch die Angehörigen meist "phasenverschoben"
zum Patienten unterschiedliche Stadien der Trauerarbeit zu durchlaufen
haben. Daher muss der Arzt auch bei den Angehörigen auf scheinbar
unverständliche, paradoxe oder aggressive Reaktionen eingestellt sein.
Wie in der Phase des Zorns beim Patienten, sollte er diese Angriffe nicht
persönlich werten, sondern als Reaktionen auf die bestürzende
Erkenntnis, dass der Verlust eines nahestehenden Menschen unabweislich
bevorsteht. Je eher der Arzt in der Lage ist, sich nicht nur gezwungenermaßen
den häufig sehr belastenden Fragen der Angehörigen zu stellen,
sondern von sich aus die Initiative zu ergreifen, auf die Angehörigen
zuzugehen und ihnen das Gespräch anzubieten, um so eher wird es gelingen,
affektive Entgleisungen in Grenzen zu halten und eine vertrauensvolle Beziehung
aufzubauen.
Angst und ihre Abwehr
Die moderne Psychoonkologie hat gezeigt, dass
Angst
zu den beherrschenden psychischen Phänomenen des Tumorkranken
zählt. Ihr kommt insofern eine Signalfunktion zu, als sie den
Verlust der körperlichen und/oder seelischen Integrität als drohendes
oder schon erfolgtes Ereignis deutlich macht. Diese Angst beinhaltet häufig
alle gängigen Vorstellungen, die mit dem Begriff "Krebs" assoziiert
werden: Angst vor Verlassenwerden, sozialer Isolation, passivem Ausgeliefertsein,
verstümmelnden chirurgischen Eingriffen, Verlust der Autonomie und
Lebensqualität, Angst vor Schmerz, Unheilbarkeit und Tod. Kern der
Todesangst ist die Angst vor psychischer Desintegration, gleichsam
dem "inneren Absturz". Diese Angst des Tumorpatienten hat aber auch die
Funktion, psychische Kräfte zu mobilisieren, die darauf abzielen,
seine Integrität wieder herzustellen (F. MEERWEIN).
Eine wesentliche Führungsaufgabe
des
Arztes ist es, diese Angst und ihre Abwehrmechanismen, die nach außen
hin völlig verdeckt sein können, zu erkennen. Er wird mit der
Angst seines Patienten sehr viel mehr durch die ganze Skala der Abwehrphänomene
konfrontiert als durch das offene Eingeständnis: "Ich habe Angst."
Die Abwehrmechanismen erlauben es dem Kranken, nicht hilflos der Angst
ausgeliefert zu sein. Es gelingt ihm damit eine gewisse
Kontrolle der
Angst, ein bestimmter Anteil an unkontrollierter, sog frei flottierender
Angst bleibt jedoch übrig. Aufgabe des Arztes ist es; neben den
Angst-Abwehr-Phänomenen diesen Anteil der freien Angst zu erkennen
und den Kampf gegen diese Angst gemeinsam mit dem Patienten in den Behandlungsplan
einzubeziehen. F MEERWEIN gibt folgende Beispiele für die wichtigsten
Angst-Abwehr-Mechanismen:
Verleugnung:
"Ich habe keine Angst und bin auf
alles vorbereitet."
Rationalisierung:
"Die Krankheit als solche macht mir keine
Angst. Hingegen fürchte ich die Einnahme der Medikamente. Wenn ich
gelegentlich Angst verspüre, so sind die starken Medikamente daran
schuld."
Vermeidung:
"Ich möchte über meine Krankheit
nicht reden und vermeide alle Gedanken daran, so komme ich am besten darüber
hinweg."
Identifikation mit dem Aggressor:
"In meiner Krankheit kommt all das Böse,
das mir in meinem Leben angetan worden ist, zum Ausdruck. Deshalb fühle
ich mich jetzt selbst böse und flöße anderen Menschen dadurch
Angst ein."
Projektion:
"Meine Frau macht sich über meinen
Zustand große Sorgen. Ich bitte Sie, ihr beizustehen, denn ihre Angst
belastet mich mehr als alles andere."
Kontraphobische Abwehr:
"Meines Wissens beträgt die Gefahr
der Erkrankung der zweiten Brust nach Brustkrebs etwa15%. Ich schlage vor,
dass Sie mir sofort beide Brüste amputieren, damit ich mich als endgültig
geheilt betrachten kann."
Phallische Abwehr:
"Ich brauche keine Hilfe und kann mit
meiner Krankheit selbst fertig werden. Ich kann mich ohne hin auf niemanden
verlassen. Niemand ist mächtiger als ich selbst."
Verkehrung ins Gegenteil:
"Noch nie fühlte ich mich so gut,
wie seit ich krank bin. Mein Leben ist intensiver und gefühlsmäßig
reicher geworden."
Diese Beispiele der Verbalisierung von
Angstabwehr zeigen deutlich, auf wie gefährlichem Boden sich der
Therapeut bewegt, wenn er Aussagen seines Patienten, wie "Ich habe keine
Angst und bin auf alles vorbereitet" oder "Noch nie fühlte ich mich
so gut, wie seit ich krank bin", wörtlich nimmt, ohne den psychologischen
Hintergrund zu erfassen. Es entwickelt sich dann zwischen Arzt und Patient
ein Klima der Pseudosicherheit und Pseudoangstfreiheit, das jeden wirklichen
Zugang zu den tiefen Ängsten des Patienten verschüttet. Hier
ist Zuhören im doppelten Sinne die wichtigste Fähigkeit des Arztes
im Gespräch mit dem Kranken: das Hören der Botschaft und das
Hören der "Botschaft hinter der Botschaft".
Wie sehr gerade das Verleugnen zu
den häufigsten und wirksamsten Abwehrhaltungen von Tumorpatienten
zählt, ist durch zahlreiche Untersuchungen belegt. WEISMANN und WORDEN
(1976/77, zitiert nach F. MEERWEIN) haben beispielsweise festgestellt,
dass von120 frisch diagnostizierten Krebspatienten, die am Massachusetts
General Hospital sorgfältig über Befund und Diagnose informiert
worden waren, wenige Tage später jeder 10. behauptete, seine Diagnose
nicht zu kennen. Wird das Phänomen der Verleugnung nicht erkannt,
muss das Verhalten des Patienten für den Arzt uneinfühlbar erscheinen,
und das manchmal abrupte Hin- und Herpendeln zwischen "Wissen" und "Nichtwissen"
bleibt unverständlich. Dieses Phänomen kann sich beispielsweise
so äußern, dass der Krebskranke an einem Tag fast beiläufig
erwähnt: "Beim nächsten Weihnachtsfest bin ich ja nicht mehr
dabei" und kurz darauf davon spricht, dass er zumindest das Abitur seines
Sohnes, das erst in 4 Jahren möglich ist, erleben möchte. Dieser
Eindruck der psychischen "doppelten Buchführung" ist ein deutliches
Charakteristikum von Verleugnung.
Für den Arzt ist es wichtig zu wissen,
dass es beim Krebskranken fast regelhaft Abwehrmechanismen in den vielfältigsten
Formen gibt, wie sie sich äußern können und dass sie nicht
durchbrochen werden sollen, weil sie eine unverzichtbare Hilfe für
die Bewältigung einer sonst kaum erträglichen Realität darstellen.
Linus
Geisler: Arzt und Patient - Begegnung im Gespräch. 3. erw. Auflage,
Frankfurt a. Main, 1992
©
Pharma Verlag Frankfurt
Autorisierte
Online-Veröffentlichung: Homepage Linus Geisler - www.linus-geisler.de
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