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Linus Geisler: INNERE MEDIZIN © 1969/1999 W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart Berlin Köln 
2.3.11.3 Thrombose und Embolie
2.3.11.4 Varikose
 
2.3.11.3 Thrombose und Embolie
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Definition: Die Bildung von Blutgerinnseln in Blutgefäßen wird Thrombose, ihre Verschleppung mit dem Blutstrom in den Kreislauf Embolie genannt.
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Pathologisch-anatomisch können zwei Arten von Thromben unterschieden werden:
•  Gerinnungsthromben: Sie sind rot, glatt, haben die gleiche Zusammensetzung wie das Blut und entstehen meist bei verlangsamter oder stockender Blutzirkulation (Stase).
•  Abscheidungsthromben: Sie sind weißlich, enthalten reichlich Leukozyten und entstehen an verletzten oder geschädigten Gefäßwandstellen, z.B. an einem arteriosklerotischen Herd. An dem geschädigten Wandbezirk kommt es zum Haften von Thrombozyten, die den Gerinnungsvorgang einleiten und so zur Thrombose führen.
Einteilung
der Thromben
Bereits der Pathologe RUDOLF VIRCHOW (1821-1902) hat die drei wesentlichen Ursachen der Thrombose erkannt und beschrieben (sog. Virchowsche Trias):
  Verlangsamung der Blutströmung,
  Gefäßwandschädigung,
  gesteigerte Gerinnbarkeit des Blutes (Hyperkoagulabilität).
Ursachen und
Entstehung
Zu einer gesteigerten Gerinnbarkeit kann es beispielsweise nach Operationen infolge der Freisetzung von Gewebsthrombokinase oder durch vermehrte Faktorenbildung in der Leber bei einem Rückgang der Leberstauung durch Behandlung der Herzinsuffizienz kommen. Das sog. Antithrombin III (AT III) im Blut hemmt die Gerinnungsfaktoren. Ein AT-III-Mangel, der z.B. postoperativ auftritt oder angeboren vorkommt (AT-III-Erniedrigung unter 70% der Norm), bedeutet daher erhöhte Thrombosegefahr. AT III kann bei Mangelzuständen als Kybernin® medikamentös substituiert werden. Bei den Arterien sind die Gefäßwandschäden überwiegend arteriosklerotisch bedingt, bei den Venen entzündlich entstanden (Thrombophlebitis). Zur Strömungsverlangsamung kann es durch Bettruhe, Herzinsuffizienz oder Schockzustände aufgrund der gestörten Mikrozirkulation kommen. Eine Thrombenbildung in nicht entzündeten Venen wird Phlebothrombose genannt.
Venöse Thromben bilden sich zu 95% im Einzugsgebiet der unteren Hohlvene, vor allem in den Beinvenen, weniger häufig in den Beckenvenen und selten im Pfortadergebiet. Auch im Herzen, dort überwiegend im vergrößerten linken Vorhof - z.B. bei Mitralklappenfehlern - können sich Thromben bilden. Vorkommen
Arterielle Thromben entwickeln sich praktisch überall dort, wo die Arteriosklerose zu Intimaschäden geführt hat, d.h. an den Herzkranzgefäßen (Herzinfarkt), Brust- und Bauchaorta, Beingefäßen (periphere Durchblutungsstörung), Halsschlagadern und Hirngefäßen (Apoplexie) oder Mesenterialgefäßen (Mesenterialinfarkte).
Jeder frisch Operierte ist infolge der gesteigerten Blutgerinnung und der eingeschränkten Mobilität thrombosegefährdet. Venöse Thrombosen treten besonders häufig nach Uterusentfernung, Milzexstirpation, Bruchoperationen und Kaiserschnitten auf. In der Inneren Medizin sind vorwiegend Patienten mit Herzinsuffizienz, Infarkt- und Tumorpatienten, alle länger immobilisierten Patienten und Patienten mit Lähmungen (apoplektische Insulte, Polyneuropathien) betroffen. Disponierende
Faktoren
Die Unterscheidung zwischen einer oberflächlichen und einer tiefen Thrombose ist klinisch wichtig.
•  Bei oberflächlicher Thrombophlebitis zeigt die erkrankte, oberflächlich tastbare Venenpartie alle klassischen Entzündungszeichen wie Wärme, Schmerzhaftigkeit, Verdickung und Rötung. Es besteht eine umschriebene Entzündung im Bereich eines Hautvenenstrangs oder einer Krampfader. Der Schmerz ist lokalisiert, Fieber und Ödeme fehlen, Lungenembolien treten praktisch nicht auf.
•  Tiefe Thrombosen, die vor allem wegen ihrer Spätfolgen und der Gefahr einer Lungenembolie gefürchtet sind, können eher verkannt werden. Es besteht häufig eine Druck- oder Klopfschmerzhaftigkeit an der Fußsohle (sog. Payrzeichen) oder an der Wade (s. Abb. 30, S. 154). Je nach Lokalisation der Thrombose besteht eine Schwellung des Unter- oder auch des Oberschenkels. In der betroffenen Extremität besteht ein Schweregefühl, die Haut kann bläulich verfärbt sein. Temperaturen um 38° C sind Folge der Entzündung; der Puls ist häufig stärker erhöht, als es der erhöhten Temperatur nach zu erwarten wäre.
Klinisches Bild
Thromben können bindegewebig durchwachsen, d.h. organisiert und auf diese Weise fest mit der Gefäßwand verbunden werden. Auflösung kleinerer Thromben durch die körpereigene Fibrinolyse ist möglich. Wird ein Thrombus später wieder duchgängig, so spricht man von Rekanalisation. Schließlich besteht die Möglichkeit einer Infizierung und eitrigen Erweichung des Thrombus. Die gefährlichste Komplikation ist jedoch die Embolie.
Merke: Die gefürchtetste Komplikation der Thrombose ist die Lungenembolie!
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Abb. 30: Typische Druckschmerzpunkte bei tiefer Beinvenenthrombose (modifiziert nach Hild und Nobbe)

Abb. 30

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Emboliegefährdet sind folgende Organe:
•  Lunge
Primär gefährdet ist die Lunge, in die aus dem gesamten venösen Stromgebiet des großen Kreislaufs über das rechte Herz und die Arteria pulmonalis Emboli gelangen können. Kleinere Lungenembolien verlaufen oft unbemerkt, massive können zum sofortigen Tod führen.
Herz
Der linke Vorhof stellt die Hauptquelle für Embolien im großen Kreislauf dar. Hier sind besonders Hirn-, Nieren- und Extremitätenembolien gefürchtet. Hirnembolien führen zum Bild der Apoplexie, Nierenembolien zu akuten Schmerzen in der Flanke.
•  Extremitäten
Extremitätenembolien sind in der Regel leicht zu erkennen, ihre rasche Diagnose ist außerordentlich wichtig, da die Soforttherapie (s.u.) aussichtsreich ist. Die Leitsymptome arterieller Extremitätenembolien sind: Blässe, Kälte, dumpfer, "peitschenhiebartiger" Schmerz, Pulslosigkeit sowie Bewegungs- und Empfindungsstörungen der Extremität.
Emboliegefährdete
Organe
Die Amerikaner sprechen von den sechs p der Extremitätenembolie:
  pain (Schmerz),
  paleness (Blässe),
  pulselessness (Pulslosigkeit),
  paresthesia (gestörte Empfindung),
  paralysis (Lähmung),
  prostration (Schock).
Die sechs "p" der
Extremitätenembolie
Merke: Akut aufgetretene Extremitätenbeschwerden mit Blässe, Kaltwerden und Bewegungsstörungen sind dringend auf eine arterielle Extremitätenembolie verdächtig und stellen einen Notfall dar!
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Bei Extremitätenembolien sollte immer die chirurgische Embolusentfernung, die Embolektomie, versucht werden, die innerhalb der ersten 6-8 Stunden nach dem akuten Ereignis am aussichtsreichsten ist. Später kommt eine Fibrinolysebehandlung oder evtl. eine Spätembolektomie in Frage. Die Extremität muß tief gelagert werden.
Bei der akuten oberflächlichen Thrombophlebitis wird ein straffer Kompressionsverband angelegt; der Patient soll viel laufen und keineswegs Bettruhe einhalten.
Therapie
Bei der tiefen Venenthrombose ist ebenfalls ein Kompressionsverband, am besten ein sog. Fischer- oder Pütterverband, notwendig. Bei ganz frischer Thrombose der Oberschenkel- und Beckenvenen wird systemisch oder neuerdings lokal über eine Fußrückenvene fibrinolysiert, sonst eine anschließende Antikoagulantientherapie eingeleitet. Krankengymnastische Übungen und Hochlagerung sind von Anfang an erforderlich. Mit Kompressionsverband kann der Patient nach wenigen Tagen strenger Bettruhe aufstehen. Thromboseprophylaxe
Abb. 31: Fachgerechtes Anlegen eines Kompressionsverbandes zur Thromboseprophylaxe

Abb. 31

Abb. 31
Zur Thromboseprophylaxe wird niedrig dosiertes Heparin (low-dose-Heparin) in einer Dosis von 2-3 x tägl. 5000-7500 IE subcutan appliziert.
Niedermolekulares Heparin, z.B. Mono-Embolex®, hat den Vorteil, daß es nur einmal täglich gespritzt werden muss.
Thromboseprophylaxe
Postthrombotisches Syndrom
Definition: Das postthrombotische Syndrom stellt eine Spätkomplikation der tiefen Beinvenenthrombose dar.
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Das postthrombotische Syndrom ist gekennzeichnet durch:
  Ödembildung,
  Varizen (Krampfadern),
  Störungen der Hauternährung bis zum Unterschenkelgeschwür (Ulcus cruris) und
  Hautausschläge.
Spätkomplikation:
postthrombotisches
Syndrom
Die wichtigste therapeutische Maßnahme beim postthrombotischen Syndrom besteht darin, dass der Patient mit sachgerecht gewickelten Beinen bzw. maßgefertigten Kompressionsstrümpfen möglichst viel geht. Auf diese Weise werden die venöse Zirkulation gesteigert und die Ödembildung verringert.
Merke: Günstig für Patienten mit Erkrankungen der Venen ist Laufen und Liegen, schlecht hingegen ist Stehen und Sitzen.
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2.3.11.4 Varikose
Definition: Als Varizen (sog. Krampfadern) bezeichnet man ausgeweitete, oft knotig ausgebauchte und geschlängelte Venen, vor allem im Bereich der Unter- und Oberschenkel.
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Varizen werden bei ca. 35% aller Erwachsenen gefunden. Ihr Krankheitswert ist je nach Art, Ausdehnung und Lokalisation außerordentlich verschieden. Vorkommen
Tab. 16: Wichtigste Venenkrankheiten, Folgezustände und Gefahr der Lungenembolie (nach Th. Brecht)
 Varikosis (Krampfadern)
  primäre Varikosis 
  sekundäre Varikosis
 -
 Variköser Symptomenkomplex
 Postthrombotisches Syndrom
 Thrombophlebitis
  oberflächliche Thrombophlebitis 
  Varikophlebitis
 -
 Keine Emboliegefahr 
 Bedingte Emboliegefahr
 Phlebothrombose
 (tiefe Venenthrombose)
 -
 Hohe Emboliegefahr
Tab. 16
Primäre Varizen entwickeln sich anlagebedingt auf dem Boden einer angeborenen Venenwandschwäche. Sekundäre Varizen sind meist Folge einer Thrombophlebitis.
Patienten mit Varikose klagen häufig über Schwere- und Spannungsgefühl in den Beinen, Wadenkrämpfe und Knöchelödeme. Lokale Hautekzeme, Unterschenkelgeschwüre und Thrombophlebitiden sind die wichtigsten Komplikationen. Als Ulcus cruris bezeichnet man Hautdefekte am Unterschenkel, die bis mindestens in die Lederhaut reichen. Sie können einzeln oder mehrfach auftreten und sind überwiegend venös bedingt. Symptome und
Komplikationen
Therapeutisch sind häufiges Hochlagern der Beine und eine effektive Kompressionsbehandlung in Form von Bandagen oder Kompressionsstrümpfen (s. Abb. 31, S. 155 Link) sowie Bewegungstherapie mit Aktivierung der Wadenmuskelpumpe am wichtigsten. Die Wirkung einer medikamentösen Behandlung mit z.B. Rosskastanienextrakten ist zweifelhaft. Chirurgisch kommen Verödungsbehandlungen oder eine operative Varizenausschaltung in Betracht. Therapie
Übersicht 23: Pflege bei varikösem Symptomenkomplex
1. Patienten zum Laufen motivieren, langes Stehen vermeiden
2. Gut sitzender Kompressionsverband .
3. Bei Ulcus cruris: 
  Säuberung der Wunde mit Kamille- oder physiologischer Kochsalzlösung;
  Infektionen mit Betaisodona®, Mercurochrom® oder Fibrolan® behandeln;
  Umgebungshaut mit Öl reinigen und mit Bepanthen® oder Linola Fettsalbe® pflegen.
Übersicht 23
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Linus Geisler: INNERE MEDIZIN. 17. vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, Stuttgart Berlin Köln
© 1969/1999 W. Kohlhammer Verlag
Autorisierte Online-Veröffentlichung: Homepage Linus Geisler - www.linus-geisler.de
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