Nur ein kleiner Schritt für ein
Schaf
Über die Gier von
Forschern, die Menschen als frei manipulierbare Biomasse begreifen / Von
Linus S. Geisler
»Keiner von ihnen hat
die Leidensgeschichte meiner Patienten erlebt«, beklagte sich James
Grifo, leitender Fortpflanzungsendokrinologe am New Yorker University Medical
Center mit Blick auf die Mitglieder der amerikanischen Bioethik-Kommission.
Wer Ärzten grundsätzlich verbieten wolle, Menschen zu klonen,
fuhr Grifo fort, vernachlässigt »die Interessen ihrer Patienten.«
So hören sich Appelle klongläubiger Reproduktionsmediziner an.
In Ira Levines Bestseller
Die Boys von Brasilien (1976), versucht der KZ-Arzt Josef Mengele
Klone von Hitler großzuziehen. Das ist nur einer der Alpträume,
die die Science-Fiction-Literatur zum Thema Klonen heraufbeschwört.
Dennoch würde sich nach Umfragen jeder 15. Amerikaner über einen
Klon seiner selbst freuen.
»Die Annahme, daß
sich das hätte verhindern lassen, ist naiv.« sagte Ian Wilmut,
geistiger Vater des berühmtesten Schafes aller Zeiten, das sich eines
Tages vielleicht doch als wissenschaftliche Ente decouvrieren wird, 1997
vor der American Association for Advancement of Science. Und wenn der erste
Staub des Wirbels um das Klonen sich gelegt habe, meint Ronald James, Chef
der das Dolly-Projekt mitfinanzierenden Biotech-Firma PPL, werde sich die
Welt auch an das Klonen gewöhnen. Das sind die Einschätzungen
von Realisten.
Nur schade, daß so
viele glauben, beim Thema Klonen von Menschen mitreden zu müssen:
Im Schöpfungsglauben irritierte Theologen und Ethiker mit nicht immer
eindeutig auszumachenden Positionen, um ihre kinderlosen Paare besorgte
Ärzte, lautstarke Politiker, aufgescheuchte Ökofreaks und Nobelpreisträger,
wie Francis Crick, Entdecker der DNA, für den sich »... das
reiche menschliche Repertoire an Gedanken, Gefühlen, Sehnsüchten
und Hoffnungen aus elektro-chemischen Hirnprozessen« und »nicht
aus einer immateriellen Seele« speist.
Am meisten bedeckt halten
sich noch jene, die die Milliardenprofite bereits sorgfältig hochgerechnet
haben. Eine Ausnahme macht hier Richard Seed (nomen est omen?), der bereits
die Preise für eine Ware, den geklonten Menschen, nennt, die er noch
gar nicht liefern kann: 2,2 Millionen Dollar für den Prototypen, 5000
-10 000 Dollar für die in Serie gegangenen Produkte. Damit reiht er
sich nahtlos in die merkantilen Praktiken der Reproduktionsmedizin ein:
So bietet im Januar 1998 das Advanced Fertility Center of Chicago im Internet
eine sog. Standard IVF (= In-vitro-Fertilisation) Package für $ 3.300
an, inklusive einer »70% money back guarantee«.
Die an das Klonen gerichteten
Erwartungen reichen von narzisstischen Phantasien, der Züchtung lebender
Organbanken über die Erfüllung des Kinderwunsches für Homosexuelle
bis zur Schaffung wie auch immer definierter neuer Eliten. Was darunter
zu verstehen ist, hat der Biochemiker J.B.S. Haldane bei einem Ciba-Symposium
1962 in London, das aus 27 der damals prominentesten Biologen, Psychologen
und Soziologen, unter ihnen 6 Nobelpreisträger, bestand, auf eine
einfache Formel gebracht: »Die Elite, unter der ich grob gesprochen
Menschen wie uns hier verstehe ...«
Der Gedanke Menschen künstlich
zu erzeugen, findet sich bereits am Ursprung zahlreicher Kulturen und Schöpfungsmythen.
Die Beispiele reichen vom Titan Prometheus in den Ovidschen Metamorphosen,
deraus
Lehm und Wasser Männer und Frauen formte, über die Zeugung des
Homunculus in Faust II (Wagner kommentiert: »Behüte Gott!
wie sonst das Zeugen Mode war, erklären wir für eitel Possen
...«), die diversen Golem-Sagen, bis zu E.T.A Hoffmanns Olimpia in
Der
Sandmann. In Karel Capek's Drama R. U. R. (= Rossums Universal
Robots, 1920) wird schließlich für einen menschenähnlichen
Automaten erstmals der Begriff »Roboter« verwandt. Bezeichnenderweise
will von den zwei Männern, die den Roboter erschufen, der ältere
durch seine Schöpfung die Nicht-Existenz Gottes beweisen und der jüngere
an ihr Geld verdienen. Die meisten dieser Geschichten gehen schlecht aus:
Entweder sind die Meister gezwungen, ihr eigenes, gefährlich werdendes
Werk zu zerstören, oder es zerstört sich selbst und oft den Schöpfer
oder andere Menschen zugleich.
Als »Eingriff in die
Schöpfung« (Deutsche Bischofskonferenz) oder »Umsturz
der Schöpfung« (Rheinischer Merkur 3/98) wird das Klonen von
Menschen bezeichnet, und die Genentiker zu »Schöpfern ihrer
eigenen Art« (SZ 14.1.98) abgestempelt. Sie manipulierten den Text
des Lebens, der sie doch selber seien. Für Wissenschaftler, wie
Atkins, in deren Schöpfungstheorien ein Schöpfer nicht vorkommt,
stoßen solche Vorwürfe ins Leere, und zahlreiche gescheiterte
Schöpfungsversuche in den verschiedenen Mythologien rütteln am
Bild eines unfehlbaren Schöpfergottes. Schöpfungsspannen müssen
dem klonierenden Menschen da schon eingestanden werden.
Lee Silver, Molekularbiologe
an der Princeton Universität, pflegt Kritiker, die ihm Szenarien von
genetischen Katastrophen mit menschlichen Monstern ausmalen, mit scheinbar
schlagenden Argumenten zu verstören. Die meisten genetischen Geburtsschäden
beruhten auf einem zu Viel (Down-Syndrom) oder zu Wenig an Chromosomen.
Beim Klonen aber würden nur Zellen eines normalen Erwachsenen mit
der »richtigen« Chromosomenzahl verwendet. Dies gelte auch
für die zweite, weniger häufige Kategorie der rezessiv erblichen
Krankheiten wie Sichelzellanämie oder Tay-Sachs-Syndrom, bei denen
jedes gesunde Elternteil eine kranke Genkopie mitbringt und die Krankheit
erst durch Verschmelzung von Ei- und Samenzelle entsteht. Die Risiken neuer
Methoden schälen sich aber meistens erst im Verlauf der klinischen
Erprobung heraus. Für das Klonen von Menschen gibt es nicht einmal
marginale experimentelle Erfahrungen, geschweige denn systematische Erkenntnisse.
Gewonnen werden könnten diese grundsätzlich nur an menschlichem
Erbgut. Der Mensch als seine eigene Laborratte?
Der Einwand, diese Form des
Schöpfens von neuem menschlichem Leben führe gleichzeitig zur
Vernichtung menschlichen Lebens durch »Embryonenverbrauch«
erscheint zunächst gewichtig. Kommt hier etwa der alte böse Vorwurf
an die modernen Biowissenschaften wieder auf, sie könnten häufig
Leben nur um den Preis anderen Lebens hervorbringen oder bewahren? Das
Florieren der Reproduktionsmedizin wird schon heute durch solche Vorwürfe
wenig tangiert: »Mehrlingsreduktion« gehört eben zum ihrem
Geschäft.
Auch der Einwurf, schon bei
Dolly habe sich gezeigt, wie schwierig das Klonen von Säugetieren
sei, weiß Lee Silver zu entkräften. Ian Wilmut habe zwar mit
277 aus Euterzellen geklonten Eizellen nur ein einziges Schaf erhalten.
Aber: Nur 13 dieser Eizellen hätten sich zu Embryonen entwickelt.
Davon seien 12 frühzeitig durch Fehlgeburten abgegangen. Diese »Erfolgsquote«
(1:13) sei aber weit besser als die Ergebnisse aus der Frühzeit der
In-vitro-Fertilisation.
Vor solchen Argumenten müssen
alttestamentarische Warnungen, nicht an der Ebenbildlichkeit Gottes zu
rütteln verstummen. Daß der Islam im Verfertigen schon schlichter
Abbilder einen Eingriff in Allahs Schöpfertätigkeit sieht, kann
dann ebenso wenig in die Waagschale fallen, wie philosophische Mahnrufe
aus dem Zeitalter der »Dinosaurierethik«.
»Wer werden die 'Bild'-Macher
sein, nach welchen Vorbildern, und auf Grund welchen Wissens?«, fragte
Hans Jonas.
Andere Befürchtungen
erscheinen da schon konkreter, wenngleich auch weniger bedeutsam. Zum Beispiel:
Wie alt ist Dolly wirklich? Ein Klon mag zwar jung aussehen, aber besitzt
es nicht eine »alte« DNA? Gibt es Wesen, die kalendarisch Kinder,
genetisch Greise sind? Auch hier wissen die Genetiker zu beruhigen: Beim
Klonen werde die DNA wieder auf Null gestellt.
Das Menschenbild der Genetiker
hatte früher Züge von trostloser Eintönigkeit: Nobelpreisträger
Joshua Lederberg definierte den Menschen als 180 cm langen molekularen
Strang (= Länge der DNA), eine »chemische Maschine« war
er für Jacques Monod, eine »Überlebensmaschine« für
seine egoistischen Gene für Richard Dawkins. Da sind die »Visionen«
heutiger Genetiker schon farbiger, auch wenn es nur um »Replikate«
geht.
Die Tür zum neuen Menschen
scheint bereits einen Spalt weit offenzustehen, wenn Klonen und genetische
Manipulation kombiniert werden. Wen kümmert da, daß sich diese
Tür nur in eine Richtung öffnen läßt, daß der
scheinbar neue Reichtum in Wirklichkeit genetische Verarmung beinhaltet,
daß die Vielfalt menschlicher Erscheinungsformen und Verhaltensweisen
zu öder Vereinheitlichung hintendieren?
Verstöße gegen
die »Natur« und das Zitieren des tausendfach malträtierten
Menschenwürde-Begriffs müssen bei den Kritikern herhalten, wenn
die Biowissenschaften wieder einmal die Hand nach verbotenen Früchten
ausstrecken. Aber das Jonglieren mit dem Natur-Begriff ist ein Drahtseilakt.
Was ist »natürlich«? Der Spontanverlauf einer Krankheit
oder massive, aber lebensrettende pharmakologische und chirurgische Eingriffe?
Die Natur erweist sich alles andere als perfekt und konsequent.
Man kann aber ganz anders
argumentieren: die Wissenschaft habe die Aufgabe, »die Naturgesetze
zu brechen« so der Reproduktionswissenschaftler Steen Willadsen 1997.
Dies mag noch als befangene Einzelstimme gelten. Aber eine Elite zeitgenössischer
Denker, Wissenschaftler, Dichter (wie Sir Isaiha Berlin, Francis Crick,
Taslima Nasrin) in der International Academy of Humanists kommen in einer
»Deklaration zur Verteidigung des Klonens« (Free Inquiry Magazine,
Vol.17, No 3) zu einer völlig anderen Erkenntnis über die Natur
des Menschen und den erlaubten Umgang mit ihm: »Die menschliche Natur
wird als einzigartig und heilig angesehen (...) Doch soweit die Wissenschaft
das sagen kann, ist der Homo sapiens ein Vertreter des Tierreichs.«
Und sie malen ihr Menetekel an die Wand: »Der potentielle Nutzen
des Klonens könnte so segensreich sein, daß es eine Tragödie
wäre, wenn altmodische theologische Skrupel zu einem fortschrittsfeindlichen
Verbot des Klonens führen würden.«
In diesem Menschenbild, das
den Menschen als seelenloses Tier in einer gottlosen Schöpfungswelt
versteht, gründet sich unser fundamentales Unbehagen an dieser, wenn
auch bislang utopischen, biomedizinischen Technologie. An dieser unheiligen
Fortschrittsgier, die unaufhaltsam alle unerwünschten anthropologischen,
philosophischen und theologischen Argumente niederwalzt, um in den Besitz
des letzten, noch nicht eroberten Forschungsobjektes zu kommen: des Menschen
als frei manipulierbare »Biomasse«.
»Eins mit Gott werden«
will Richard Seed. In Bertolucci's Film »Little Buddha« wird
die letzte Versuchung des nach vollkommener Erleuchtung strebenden Siddhârta
durch die Materialisierung des eigenen Spiegelbildes in Szene gesetzt,
eine Geistestäuschung, hervorgebracht von Mâra, dem Herrn der
Begierden und der Verkörperung des Todes. »Willst Du mein Gott
sein?« fragt Mâra Siddhârta als dessen eigene Verkörperung.
Siddhârta aber durchschaut ihn: »Du bist nur mein Spiegelbild.«
In diesem Augenblick löst das Trugbild sich auf und der uralte Verführer
Mâra wird wieder sichtbar.
Geisler, Linus S.: Nur ein kleiner
Schritt für ein Schaf. Frankfurter Rundschau, 29.01.1998, Nr. 24,
S. 10 |
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