Start  <  Artikelübersicht  <  Linus S. Geisler: HERREN DER METAPHERN. FRANKFURTER RUNDSCHAU vom 18. August  2001
Download / Druck: PDF-Version (38 kb) PDF-Version
Herren der Metaphern 

Wissenschaftler sind die eigentlichen Erzähler unserer Zeit / Linus S. Geisler über den manipulativen Gebrauch von Bildern in den Lebenswissenschaften 

Wer die Welt beherrschen will, muss sich einer schlagenden Sprache und überzeugender Bilder bedienen. Genau dies ist der Biowissenschaft gelungen, die mit ihrem Sprachgebrauch die Welt neu buchstabiert und erklärt - auch wenn die benutzten Metaphern oft unklar und unzutreffend sind. Über die Weltbilder in den Lebenswissenschaften hat sich Linus S. Geisler Gedanken gemacht. Wir setzen damit unsere Serie Januskopf der Moderne fort. Der Autor war Chefarzt am St. Barbara Hospital in Gladbeck und ist Mitglied der Enquetekommission des Bundestages zu Recht und Ethik in der modernen Medizin. 

Immer schon haben Menschen in Bildern und Gleichnissen gesprochen. "Ich will meinen Mund auftun in Gleichnissen und will aussprechen, was verborgen ist . . ." heißt es im 78. Psalm. Herr der Metapher zu sein, war für Aristoteles "bei weitem das Größte". Und Goethe insistierte: "Gleichnisse dürft Ihr mir nicht verwehren, ich wüsste mich sonst nicht zu erklären."

In den Wissenschaften hat sich die Metapher von der Welt als Buch seit langem eingebürgert, und genau besehen ist Forschung immer (auch) das Ringen um die Lesbarkeit der Welt. Was in diesem Buch steht, muss gelesen werden, was es nicht enthält, ist des Lesens nicht wert. 

Galilei benutzte häufig die Metapher vom "Buch der Natur", das allerdings in "mathematischen Buchstaben" geschrieben sei, weshalb es nicht jeder lesen könne. Die bei dieser Lektüre gewonnenen Erkenntnisse bildeten die wahre Erkenntnis der Natur und seien daher unstrittig.

Immer wieder aber stößt Wissenschaft dabei auch an Grenzen: die Verfügbarkeit des Textes ist ohne den Stein von Rosette nutzlos. "Heute lernen wir die Sprache, in der Gott Leben schuf", sagte der frühere US-Präsident Bill Clinton während der Pressekonferenz im Weißen Haus am 26. Juni 2000, bei der die Entschlüsselung des menschlichen Genoms vorgestellt wurde. Ein ebenso majestätischer wie unrichtiger Satz, denn die Frage: was wissen wir, wenn wir das Genom kennen, ist bislang ohne befriedigende Antwort geblieben. 

Die Metapher vom Buch des Lebens ist ebenfalls alles andere als neu. Der Basler Physiologe Friedrich Miescher, der 1869 (!) die Nukleinsäuren als Substanz der Vererbung entdeckt hatte, wies darauf hin, dass "aller Reichtum und alle Mannigfaltigkeit erblicher Übertragungen ebenso gut darin ihren Ausdruck finden können als die Worte und Begriffe aller Sprachen in den 24 bis 30 Buchstaben des Alphabets".

1. Vorkonstruktion der Welt

Dass Wissenschaft sich der Metapher bedient, ist legitim. In seinen Reflexionen zur Metapher schreibt Nietzsche: "Das Erkennen ist nur ein Arbeiten in den beliebtesten Metaphern." Je unanschaulicher ihr Objekt, umso größer die Versuchung, ihm in einem Akt der Transsubstantiation Fleisch und Blut zu verleihen, ein quasi sakraler Wandel, der ein Makromolekül zum Heiligen Gral stilisiert und die Männer an den Sequenzierungsrobotern zu Gralsrittern. Vom zweiten Schöpfungsakt und von der Handschrift Gottes ist die Rede. Es fällt auf, dass gerade Atheisten unter den Wissenschaftlern sich ausgiebig und mit Hingabe der sakralen Metaphernmühle bedienen.

Häufig geht der Weg von der Metapher über das Experiment zur Wirklichkeit, nicht umgekehrt. Einstein wurde nicht müde, darauf hinzuweisen, dass die Theorien der Physik zunächst freie Erfindungen, metaphorische Fantasien des menschlichen Geistes sind. In der Metapher finden sie ihre erste Artikulation. Metaphern werden so zu einem eigenständigen Modus der Wirklichkeitserfahrung, wobei sie der Wirklichkeit vorausgehen. Metaphern sind Weltmodelle, die bereits Handlungsanweisungen enthalten. Als ein "Modell in nuce" versteht Mary B. Hesse die wissenschaftliche Metapher in ihrem Werk Models and Analogies in Science (1966). 

Die Metapher, in der Philosophie schon totgesagt - Jacques Derrida nennt sie "diese ermüdete und verbrauchte Person" - gewinnt in den Lebenswissenschaften neue Strahlkraft. Das "Gen" wird zur penetranten Ikone der Gegenwart stilisiert und zur "Essenz" unserer Identität überhöht, das den neuen Auguren erlaubt, unsere Zukunft bereits in der Gegenwart bloßzulegen und nach ihrem Willen zu deformieren.

Immer mehr werden die Lebenswissenschaften zur narrativen Disziplin, die die Welt in synthetischen Geschichten, erzeugt in den Köpfen ihrer Protagonisten, ausdeuten. Michel Houellebecq hat die Wissenschaftler als die eigentlichen Erzähler unserer Zeit bezeichnet. Das Human Genom Projekt als Gilgamesch-Epos der Postmoderne? Nicht Erkenntnisstiftung wird angestrebt, sondern eine Art Vorkonstruktion der Welt. Wie Scheherezade rettet der Forscher sich über Tausendundeine Nacht mit seinen Geschichten vom "Guten Leben" und weiß sich am Ende der Liebe seiner Zuhörer sicher. Die Landkarte wird gezeichnet, bevor das Gelände da ist, dem sie entspricht. Ja, die Landkarte schafft erst das abgebildete Land.

Der Philosoph Bruno Latour hat diesen Prozess beispielhaft an einer Expedition nach Tasmanien, die im Jahre 1802 unter der Leitung von Nicholas Baudin stattfand, dargestellt. Die Karte, welche im Verlauf der Expedition von dem bis dahin unbekannten Land erstellt wurde, hat dieses in einem gewissen Sinne erst erschaffen. Tasmanien "geschieht", in dem es gesucht, erfunden und schließlich gefunden wird.

2. Schlagbilder

Metaphern enthalten immer ein manipulatives Element, das im Kern ihre Rechtfertigung ausmacht. Insofern dienen sie nicht ausschließlich der Übersetzung, sondern stets auch der Verführung und der Täuschung. Der traduttore (Übersetzer), sagt ein italienisches Wortspiel, sei auch immer ein traditore (Verräter).

"Schlagbilder" haben die Schlagworte abgelöst. Sie kommen lautlos daher, aber mit hoher Suggestibilität. Schlagworte lassen sich widerlegen, Schlagbilder kaum. Dass die Bildersprache nicht über das Instrument der Negation, der Verneinung des Sachverhaltes verfügt, ist aus der Kommunikationswissenschaft bekannt. Der Satz, Roboter entschlüsseln das Genom, lässt sich in einer einfachen Zeichnung ausdrücken, nicht aber das Gegenteil (Roboter entschlüsseln das Genom nicht). So ist die Metapher quasi gefeit gegen ihre Verneinung.

Metaphern dienen als Werkzeug der sprachlichen "Verhexung", als Versuchung, dem Gift der uneigentlichen Redeweise zu erliegen oder aber auch, die Uneigentlichkeit zur taktischen Methode zu erheben. Hinter der Poesie metaphorischer Bilder lassen sich theoretische Defizite ebenso verbergen wie Instrumentarien der Weltbemächtigung. Bedeutungstheoretisch bleibt die Metapher uneindeutig, woraus sich der permanente Hunger nach neuen, eindeutigeren Bildern speist, nicht anders als beim Bildnis von Sais. Hinter jeder Metapher lauert schon eine neue.

3. Das Gen als Phantom

Viele metaphorische Phantasmen der Gentechnologie kleben noch an längst überholten Paradigmen, dem linearen Märchen von "DNA macht RNA macht Protein", dem Glauben an kausale Verknüpfungen von Genen mit Eigenschaften oder Funktionen. Das Bild der perlschnurrartigen Aufreihung von Genen auf der DNA mit einer jeweils stabilen Funktion ist längst überholt. Gene können sich überlappen und innerhalb anderer Gene vorkommen. In verschiedenen Geweben können sie zu verschiedenen Proteinen führen, ihre Informationen können entfernt werden oder sich nachträglich verändern. In systemtheoretischen Modellen interferieren genetisch und nichtgenetisch determinierte Wirkungsprinzipien. Der menschliche Organismus steht nicht unter der ausschließlichen Diktatur von DNA-Sequenzen, sondern ist kontextverflochten, plastisch und kontingent. 

Schon gar nicht kann, das wissen wir von Lily Kay, die Geschichte vom genetischen "Code" geglaubt werden, die Übertragung binärer Codes vom Silizium auf DNA, die Simplifizierung von Leben zu Prinzipien der Informationstechnologie. Der genetische Code ist, so Lily Kay, kein Code, sondern "eine Korrelationstabelle zwischen 64 Codonen und zwanzig Aminosäuren". Die Bedeutung der Metapher ergibt sich nicht nur aus dem Bild allein, sondern auch aus dem sprachlichen Kontext, in dem sie präsentiert wird. Die Metapher vom Code als Wesen der Erbsubstanz beinhaltet zugleich den Rückzug von Leben auf die ausschließlich informationstheoretische Ebene. Das seit mehr als dreißig Jahren unendlich strapazierte Konzept des "genetischen Programms", das die Steuerung des Lebens so einfach und narrensicher erscheinen lässt wie ein Textverarbeitungsprogramm, erweist sich als völlig unzulängliche Beschreibung eines hochkomplexen nichtlinearen Systems.

Sind Gene nur epistemische Objekte der Lebenswissenschaften? Konstruktivistische Resultate? Letztlich erweist sich das Genom als nur eine Organisationsebene des Lebendigen. Evelyn Fox Keller hat in ihrem Buch Das Jahrhundert des Gens die Überfrachtung des Begriffs Gen aufgezeigt. Je nach forscherischem Blickwinkel soll es zugleich "materieller, kausaler, lebendiger und geistiger Natur" sein. Eigenschaften, die nur der Organismus selbst besitzt, wie die Fähigkeit zur Selbstreproduktion, werden den Genen zugeschrieben. Die biowissenschaftliche Deutungsmacht suggeriert dem Laien nicht nur, wo auf ihrem Feld die Normalitäten und die Abweichungen lokalisiert sind, sondern greift damit auch in sein Selbstverständnis ein, das ausschließlich am genetischen Design festgemacht wird.

DNA, der "Faden, an dem unser Leben hängt", suggeriert das Titelblatt eines Forschungsmagazins und beschwört mythologische Bilder von scherenbewaffneten Parzen, stets bereit, den Lebensfaden zu cutten. Ein Bild, ebenso schief wie das von der Wendeltreppe der Doppelhelix, die die DNA "begehbar" macht. Überhaupt Doppelhelix! Im Rang einer "absoluten Metapher" im Sinne Hans Blumenbergs lässt sie sich nicht mehr auf den Boden der Logik zurückholen. Wirft sie die lästige Bindung an die chemische Formelsprache ab, so wird sie verfügbar für jede beliebige Symbolik und ist schließlich wiederzufinden als kosmische Schlange auf schamanischen Pfaden (ihr hat der Ethnologe Jeremy Narby ein ganzes Buch gewidmet) oder für Gräkophile im Schlangengewirr der Laokoon-Gruppe. 

Die Besiegung der Schlange durch den mythischen Helden war für die mystischen Philosophien ein Sinnbild der Erkenntnis der Welt. Ein weniger metaphysischer Geist, wie James Watson, Vater des Doppelhelixmodells, bezeichnete allerdings seine frühen DNA-Modelle, schlicht als sein "Blechspielzeug".

Personalisierung als metaphorische explikative Technik ist schon seit langem wissenschaftlich in Gebrauch. Rudolf Virchow beschrieb 1867 die Entwicklung der roten Blutkörperchen als deren "Lebensgeschichte", und um den Bedeutungsgehalt von Zellen zu erklären, sprach er von der Notwendigkeit einer "gewissen Persionification der Zellen" (1885). Heute gewinnen Moleküle eine Art personalen Status. 1993 ernannte das Wissenschaftsjournal Science das Tumorunterdrückungs-Gen "p53" zum Molekül des Jahres.

4. Medizin ohne Körper

Die Analyse des menschlichen Genoms ist die Anatomie des 21. Jahrhunderts. Aber sie enthüllt keine frischroten Muskelstränge und spiegelnden Sehnen, nicht die dreidimensionale Ästhetik der Lungenbläschen. Diese Anatomie konstituierte Leiblichkeit und zwang den Betrachter zur Demut. 

Die neue Sicht bewirkt nicht nur Leiblichkeitsferne (Leib bin ich), sondern bringt auch den Körper (Körper habe ich) zum Verschwinden. Die neue Anatomie reduziert den Körper auf Makromoleküle, auf Basenverkettungen. Wo kann der Mensch sich wiederfinden? Soll er es überhaupt? Ist er nicht besser aufgehoben in der physiko-chemischen Anonymität? In dem "Buch des Lebens", von dem allenfalls die Syntax feststeht, aber die Semantik noch verdunkelt ist?

Im Licht der genetischen Diagnostik hat die Krankheit keinen Körper mehr. Ihre Beschreibung als Texturfehler im Genom entkleidet sie ihres kreatürlichen Charakters, kappt jede Verbindung zu Schmerz oder persönlicher Tragik. 

Alles wird zur Suche nach Defekten und Differenzen. An der genetischen Ausstattung interessiert mehr die Abweichung als die Regel. Sie wird zum neuen Code für Krankheit, besser gesagt zum prognostischen Marker im Zwischenreich von noch nicht krank und nicht mehr gesund. Immer haftet dem genetischen "Defekt" der Hautgout der Aussonderung, der Selektion an. Genetische Diagnostik erweist sich auf ihrer Ebene als Rückfall zum Ende des 19. Jahrhunderts, als aus den Diagnosekünsten klinischer Ärzte so gut wie keine therapeutischen Optionen ableitbar waren. 

Genomische Differenzen der Lebewesen erscheinen attraktiver als die Lebewesen selbst. Der Unterschied im genetischen Pattern zwischen Drosophila und Mensch, drängt sich vor die Frage nach dem Bild des Menschen oder der Kreatur.

Nicht der biologische, sondern der "molekulare Hund" ist der wirkliche, schreibt der Nobelpreisträger und Zellgenetiker François Jacob. Der "Alltagshund" ist dagegen nur ein blasser Widerschein, ist nur der unseren Sinnen zugängliche Aspekt. 

5. Destruktive Metaphern

Destruktive Metaphern zielen auf die Dekonstruktion von metaphorischen Inhalten. Die Reduktion des Menschen in seiner frühesten Erscheinungsform auf einen Zellhaufen ist die radikale Löschung alles Phänotypischen, das noch an den Menschen erinnern könnte.

Der (Stamm-)Zelle gilt höhere Aufmerksamkeit als dem zum Achtzeller degradierten Individuum, dem sie entstammt. Der Pluripotenzbegriff beinhaltet eine Machtzuschreibung von außerordentlicher Fülle, die Fähigkeit, jedes Gewebe des Menschen zu bilden (auch wenn sich dies therapeutisch immer mehr als fragwürdig herausstellt). Als begehrte Früchte am Ende dieser Forschungsmühen scheinen ganze Organe zu stehen, bereit, geerntet zu werden. 

Der Hauch der Unsterblichkeit wehte schon von Anfang an über den prekären Zelllinien mit ihrem unendlichen Vermehrungspotenzial. Wer ihrer habhaft werden will, muss als Marco Polo der Lebenswissenschaften die Welt bereisen. Wer in diesem Zusammenhang von frühester Grundlagenforschung an Mäusezellen zu sprechen wagt, landet in der Ecke halbkompetenter Spielverderber.

Hier wird bewusst Anschaulichkeitsdestruktion betrieben, das Bild vom frühen Leben zum Zerrbild des Zellhaufens gewendet. Ein Bildersturm, nicht gegen Gott sondern gegen den Menschen gerichtet. Gegen zum Beispiel den Embryo in der Unbehaustheit der Petrischale, der nicht das Produkt menschlicher Vereinigung ist, sondern das Resultat der Entleiblichung von Sexualität und Fortpflanzung. Solche Metaphern eröffnen sonst schwer durchsetzbare Handlungsoptionen, sie programmieren den gewalttätigen Zugriff von außen und legitimieren ihn scheinbar.

Die neue Anatomie bedarf keines beobachtenden Auges. Es ist ersetzt durch die Software der Sequenzierungsmaschinen, die eine schier unendliche Abfolge der immer gleichen vier Basen zu Tage fördert. Die Schluss-Sequenz des Deutschen Humangenomprojekts - G-A-C-T, immer neu variiert - auf sechs Feuilleton-Seiten dargestellt, strahlte überwältigende Langeweile aus. Noch nie dürften so viele Seiten Zeitungs-"Text" in Folge ungelesen geblieben sein. Unanschaulichkeit pur, ein "Festmahl der Fakten" nennt es Durs Grünbein, bei dem das Auge hungert.

Der Weg von der Defektsuche zur gezielten Manipulation ist kurz und direkt. Die manipulative Verhunzung von Geschöpfen im Experiment (flügellose Taufliegen, ohrtragende Mäuse) hat eine neue Dimension der Monstrosität erreicht. Vivideformation als Ablösung von Vivisektion. 

Das Lancieren einer Metapher zur Leitmetapher einer Wissenschaft (Doppelhelix) inszeniert ein ganzes Bildergefüge, durch das sie sich artikuliert. Die metaphorische Präsentation ihrer Modelle, ist nicht zu beanstanden. Bedenklich wird es erst, wenn der unablässige Sprachgebrauch keine scharfe Trennung mehr zwischen Zielen und Resultaten ermöglicht. Wenn eben dies zur Methode stilisiert wird. Wenn die Kultivierung von Stammzellen mit dem Sieg über Parkinson und Alzheimer gleichgesetzt wird. Wenn eine Ankündigungswissenschaft sich als Ergebniswissenschaft geriert.

6. Lebewesen als Metaphern?

Der querschnittsgelähmte "Superman" Christopher Reeves lässt vor dem US-amerikanischen Kongress ein Statement zu den Heilserwartungen embryonaler Stammzellen verlesen, um die staatliche Förderung der Stammzellforschung voranzutreiben. Hier handelt es sich nicht um die Stimme eines Schauspielers, sondern um das schwer erträgliche Bild von Superman, der, an den Rollstuhl gefesselt, auf das zum Greifen nahe Wunder der Heilung durch jene Zellklümpchen hinweist, die keiner mit bloßem Auge erkennen kann. 

Nancy Reagan meldet sich mit einem Plädoyer für embryonale Stammzellforschung ausgerechnet im Wall Street Journal zu Wort. Wenn eine Krankheit wie Alzheimer, selbst amerikanische Ex-Präsidenten nicht verschont, muss sie in den Rang eines medizinischen Staatsfeindes Nr. 1 erhoben und bekämpft werden, um jeden Preis.

Der leidende Mensch wird zur Werbefläche instrumentalisiert, auf der sich hemmungslos alle Utopien einer Forschungsrichtung austoben, die weltweit über einige Dutzend menschlicher embryonaler Stammzelllinien verfügt, ohne die Gewissheit, dass darin das Potenzial für nur eine einzige Heilung liegt. Dass die Botschaft ankommt, dafür sorgt als zuverlässiger Kalkulationsfaktor die untergründig flotierende Angst des Menschen vor der eigenen Sterblichkeit. 

Tiere als Symbolträger sehen uns an. ANDi, das Rhesusäffchen mit den altklugen Kinderaugen, dem das Gen einer Qualle eingefügt wurde, das für das Grün-fluoreszierende Protein (GFP) codiert. Der Affe, der leuchten sollte, als Symbol für das neue Licht in der Dunkelheit unseres Nichtwissens? Der wahre Hintergrund des Experimentes, die Keimbahnmanipulation bei Primaten, wird geflissentlich im Hintergrund gehalten. 

7. Unter dem Rubikon?

Nichts hat das ansonsten mäßige Interesse an der römischen Historie zu Cäsars Zeiten so aktualisiert wie der Rubikon, die Hit-Metapher der Biotechnologie.

Rubikon, dieses, was Namen und Verlauf anbetrifft, ungewisse Flüsschen (vielleicht war es der frühere Fiumicino) zwischen Heil und Unheil, auf dessen anderer Seite der magische Magnet der Fortschrittssehnsucht zu immer wiederkehrender Überschreitung anzieht. Ein frustranes Unterfangen, wie die Erfahrung lehrt, denn hinter dem Rubikon ist immer auch vor dem Rubikon.

Der Verdacht kommt auf, dass es sogar von niemandem bemerkte Unterquerungen gab. Wie sonst hätte DFG-Präsident Ernst-Ludwig Winnacker, wie aus einem schlechten Traum erwacht, hinsichtlich der verbrauchenden Embryonenforschung zu der Aussage kommen können, es sei "der Rubikon in dieser Frage mit der Einführung der künstlichen Befruchtung überschritten" worden (DFG-Empfehlungen zur Stammzellforschung vom 3. Mai 2001). Wer den Rubikon im Rücken hat, braucht sich nicht mehr in nostalgischer Anwandlung umzudrehen, denn von nun an gilt nur noch das absolute "Vorwärts!" Was hilft es da, wenn Johannes Rau in seiner "Berliner Rede" vom 18. Mai Trost zu spenden versucht: "Es gibt viel Raum diesseits des Rubikon."

Von mehr bioethischer Flexibilität spricht es, den Flussverlauf einfach nach Belieben zu variieren. "Ach, wissen Sie, der Rubikon ist ein mäandernder Fluss", belehrte NRW-Ministerpräsident Clement seine Kritiker auf dem diesjährigen evangelischen Kirchentag. Taktisch noch eindrucksvoller ist es, sich der ethischen Bewertung durch Kategorienwechsel zu entziehen. Hubert Markl, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, versichert, es sei ihm ein Herzensanliegen zu verdeutlichen, dass der Rubikon kein Fluss ist, jenseits dessen das Böse lauert, sondern ein Fluss, dem der Mensch ständig ein neues Flussbett bahnen muss und der das "Vertraute vom Unerschlossenen" trennt. Der Rubikon jenseits von Gut und Böse - oder die Aufhebung moralischer Kategorien in der Forschung.

8. Love Parade der Metaphern

Ein gewaltiges Verwirrspiel mit Symbolen, Bildern und Metaphern ist in Gang gesetzt. Die üblichen Köder sind ausgeworfen: Mitleid, Ethik des Heilens und der technologische Imperativ. Die biologische Neusprache in guter Orwellscher Tradition etabliert unsichtbare Denkrinnen, die sicher zu den neuen Welt- und Menschenbildern leiten sollen. 

Symbolik dient der Akzeptanzbeschaffung weitaus besser als Logik. Die "Love Parade der Forscher", die dem Vorsitzenden der Helmholtz-Gesellschaft, Detlev Ganten, vorschwebt, wird zur Love Parade der Metaphern. Rückblicke sind nicht erwünscht, nur noch visionäre Vorausschau. Allzu leicht könnte man sonst auf die Systematik praktisch jeder Etablierung eines neuen Therapieprinzips stoßen: initialer Enthusiasmus, Ernüchterung und am Ende die Stunde der Wahrheit. So genannte Königswege in der Medizin haben den fatalen Charakter, sich zurückzuwinden und als mühselige Trampelpfade einen immer wieder neuen Anfang zu erzwingen. 

Was der Krebs- und Aids-Forschung nicht erspart blieb, wird auch der Stammzellforschung nicht erspart bleiben.

Ein Glück, dass wir, dass die Wissenschaft nicht ohne Metaphern auskommt. Denn der Wahrheit ständig ins Gesicht zu sehen, ist ebenso unmöglich, wie ständig in die Sonne zu schauen. Ein Metapherntier hat Nietzsche den Menschen genannt, und die Wahrheit ein "bewegliches Heer aus Metaphern". Sollte für die Unwahrheit etwas anderes gelten?


Geisler, Linus S.: Herren der Metaphern. Frankfurter Rundschau, 18.08.2001, Nr. 191/31, S. 7
Artikel-URL: http://www.linus-geisler.de/artikel/0108fr_metaphern.html

© beim Autor
Start  <  Artikelübersicht  <  dieser Artikel