Aufgrund der Knappheit
von Spenderorganen wird derzeit von verschiedenen Seiten eine Ausweitung
der Lebendorganspende - und hier auch der sogenannten Überkreuz-Lebendspende
- vorgeschlagen. Das Bundessozialgericht hat die notwendigen Voraussetzungen
für eine solche Überkreuzspende nun nochmal festgelegt.
Überkreuz-Lebendspende
Sachstand, Rechtssprechung,
Hintergründe
Von
Linus S. Geisler
Die Überkreuz-Lebendspende
- auch Crossover-Spende genannt - stellt quantitativ ein äußerst
kleines Problem dar. Nach Einschätzung von Transplantationsmedizinern
kommt sie in Deutschland für fünf bis sechs Paare pro Jahr infrage.
Gemessen daran nimmt sie in der Lebendspendedebatte einen unverhältnismäßig
großen Raum ein. Der Grund ist in der zurzeit durch Transplantationsmediziner
und die Bundesärztekammer stark propagierten Ausweitung des Kreises
der Lebendspender zu sehen. Die rechtliche Zulassung der Überkreuz-Lebendspende
wäre der erste Schritt in diese Richtung.
Vielfach wird eine besondere persönliche
Verbundenheit auch mit dem Argument der "Schicksalsverbundenheit" begründet |
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Die
Überkreuz-Lebendspende ist eine besondere Variante der Lebendspende:
Dabei fungiert bei zwei (Ehe-)Paaren jeweils ein Partner als Spender und
einer als Empfänger für das andere Paar. Die Notwendigkeit zur
Überkreuz-Lebendspende ergibt sich aus der Blutgruppeninkompatibilität
innerhalb der Paare. Die meisten Nachfragen zur Überkreuz-Lebendspende
kommen von Paaren, bei denen der/die Spender(in) die Blutgruppe A und der/die
Empfänger(in) die Blutgruppe 0 besitzt.
Nach § 8 Abs. 1 S. 2
TPG ist eine Überkreuz-Lebendspende unzulässig, weil die vom
Gesetzgeber geforderte besondere persönliche Verbundenheit bei dieser
Spender-Empfänger-Konstellation nicht vorliegt. Es wird allerdings
argumentiert, entgegen dem Gesetzeswortlaut sei es für die Zulässigkeit
der Überkreuz-Lebendspende ausreichend, wenn die besondere persönliche
Verbundenheit nur zum eigenen Partner besteht. Denn die Spende erfolge
nur, um dem eigenen Partner eine Spende von dritter Seite zu ermöglichen.
Vielfach wird eine besondere persönliche Verbundenheit auch mit dem
Argument der "Schicksalsverbundenheit" begründet. Das Erleiden und
Erleben des gleichen, den täglichen Rhythmus prägenden Krankheitsschicksals
führe im Regelfall zu einer persönlichen Nähebeziehung,
die den gesetzlichen Voraussetzungen entspräche. Noch weiter gefaßt
ist das Argument, die "allgemeine mitmenschliche Solidarität" bilde
eine ausreichende Legitimation zur Lebendspende.
Das Bundessozialgericht hat in seinem
Urteil vom 10. Dezember 2003 die Überkreuz-Lebendspende nicht generell
zugelassen |
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Das Bundessozialgericht hat
in seinem Urteil vom 10. Dezember 2003 (Az: B 9 VS 1/01 R) deutlich gemacht,
daß sich auch bei der Überkreuz-Lebendspende Spender und Empfänger
in besonderer persönlicher Verbundenheit nahe stehen müssen.
Die Verbundenheit müsse so stark sein, daß ihr Fortbestehen
über die Operation hinaus erwartet werden kann, auch müsse sie
auf unbefristete Dauer angelegt sein. Der Umstand, daß sich die Paare
erst anläßlich der beabsichtigten Überkreuz-Lebendspende
kennengelernt hätten, solle aber ebenso wie eine nur relativ kurze
Dauer der Beziehung nicht von vorneherein gegen das Vorliegen eines Näheverhältnisses
sprechen. Aus der Krankheitserfahrung könne auf einen "Gleichklang
der Lebensverhältnisse" geschlossen werden, der regelmäßig
einen starken emotionalen Bezug herstelle. Davon könne aber nicht
generell ausgegangen werden, vielmehr seien stets die Einzelfallumstände
entscheidend.
Wörtlich heißt
es in dem Urteil: "Allerdings würde es zu weit gehen, aus diesen Gegebenheiten
den Schluß zu ziehen, die durch die Spende begründete Beziehung
zu dem jeweiligen Partner des anderen Paares sei in der rechtlichen Wertung
von vornherein der besonderen persönlichen Verbundenheit zum eigenen
Partner gleichzustellen ...". Das Gericht hat die Überkreuz-Lebendspende
also nicht generell zugelassen. Es ist bei dem Erfordernis eines besonderen
Näheverhältnisses zwischen Spender und Empfänger geblieben,
hat allerdings die Anforderungen daran abgeschwächt.
Sollte sich die sogenannte
AB0-inkompatible (Blutgruppen-inkompatible) Nierentransplantation in größerem
Umfang als klinisch praktikabel bewähren, entfiele ein wesentlicher
Grund für die Überkreuz-Lebendspende. Die AB0-inkompatible Nierenlebendspende
erlaubt beispielsweise die Transplantation der Niere eines Spenders mit
der Blutgruppe A auf einen Empfänger mit Blutgruppe B. Die größten
Erfahrungen stammen aus Japan mit rund einhundert publizierten AB0-inkompatiblen
Nierenlebend-Transplantationen. Vor der Transplantation müssen beim
Empfänger Antikörper gegen die fremde Blutgruppe durch Plasmapherese
eliminiert und eventuell die Milz operativ entfernt werden. Ferner ist
eine intensivierte medikamentöse Immunsuppression erforderlich. Die
Ergebnisse sind also nicht ganz so günstig wie bei blutgruppenverträglicher
Transplantation. In einer Studie der Mayo Clinic betrug die 1-Jahres-Überlebensrate
für Transplantate von AB0-inkompatiblen Empfängern 89 Prozent
im Vergleich zu 96 Prozent bei AB0-kompatiblen Patienten. Das Verfahren
wird zum Teil noch als experimentell bewertet. In Deutschland liegen nur
ganz vereinzelte Erfahrungen vor.
Lebendspende verstößt gegen
das Fundamentalgebot der Schädigungsfreiheit medizinischen Handelns |
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Gegen eine Ausweitung der Lebendspende
spricht generell, daß der Gesetzgeber mit der Subsidiaritätsklausel
der Lebendspende ein eindeutiges Ziel verfolgt: Nämlich den Schutz
des Spenders, dessen Organentnahme gegen das Fundamentalgebot der Schädigungsfreiheit
medizinischen Handelns (primum nihil nocere) verstößt. Dieser
Aspekt kommt in der aktuellen Debatte um die Lebendspende nicht selten
zu kurz.
Die Frage, ob die Überkreuz-Spende
eine Art Handelsverhältnis konstituiert, wird im Allgemeinen verneint,
denn die Spendeakte sind, wenn auch indirekt, auf den je eigenen Partner
und dessen Gesundheit bezogen. Der zu erwartende "Nutzen" für den
Organspender ist kein anderer als bei der sonstigen Lebendspende eines
Organs, während beim Organhandel der Nutzen in einer Geldzahlung oder
einem geldwerten Vorteil liegt. Man könnte zwar von einem "Geschäft
auf Gegenseitigkeit" sprechen, bei dem allerdings keine geldwerte Leistung
erbracht wird. Insofern kann dieser Vorgang nicht als Handel klassifiziert
werden. Ein erhöhtes Kommerzialisierungsrisiko erscheint wegen der
gemeinsamen Problemlage der beteiligten Paare bei der Überkreuz-Lebendspende
nicht gegeben.
Geisler, Linus S.: Überkreuz-Lebendspende
- Sachstand, Rechtssprechung, Hintergründe |
CHIRURGISCHE ALLGEMEINE,
5. Jahrgang, November/Dezember 2004, S. 464-465 |
Artikel-URL: http://www.linus-geisler.de/art2004/200412chaz-ueberkreuz-lebendspende.html |
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