Start  <  Artikelübersicht  <  Linus S. Geisler: WIE KOMMUNIZIEREN SIE MIT IHREN PATIENTINNEN?  FRAUENARZT, Juni 2003
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Kommunikation

Wie kommunizieren Sie mit Ihren Patientinnen?

Linus S. Geisler
Arztsein ist ein sprechender Beruf. Gute kommunikative Kompetenz erhöht nicht nur die Zufriedenheit Ihrer Patientinnen, sondern auch Ihre eigene. Professor Linus Geisler, Arzt und Kommunikationsexperte, zeigt Ihnen die Grundlagen für ein gelungenes Gespräch mit Ihren Patientinnen.

Selbstverständlich muss ein Arzt fachlich kompetent sein. Aber ein Arzt verfügt über zwei Werkzeuge: die Hand und das Wort. Erst der sinnvoll abgestimmte Einsatz beider macht den guten Arzt aus. In einer hochtechnisierten und überwiegend naturwissenschaftlich ausgerichteten Medizin wächst die Gefahr, dass - oft mit dem vordergründigen Argument des Zeitmangels - der durch nichts zu ersetzende Dialog zwischen Arzt und Patientin immer mehr in den Hintergrund tritt. Die humane Umsetzung der technischen Errungenschaften in der Medizin ist ohne eine vertrauensvolle und tragfähige Beziehung zwischen Arzt und Patientin unmöglich. Diese basiert nicht auf naturwissenschaftlichem Faktenwissen, sondern auf Dialogfähigkeit, Einfühlungsvermögen und Zuwendung [2 Interner Link]. Zudem muss ein gutes Gespräch nicht länger dauern. Auf jeden Fall macht es die Behandlung effizienter.

Die klinische Erfahrung zeigt, dass durch eine gute Kommunikation weniger falsche diagnostische und therapeutische Wege eingeschlagen werden, unnötige Mehrfachuntersuchungen reduziert und die Compliance der Patienten verbessert wird. Linda Gask und Tim Usherwood haben im British Medical Journal umfassend die Auswirkungen einer positiven Kommunikation dargestellt [3 Externer Download Link]. Die Sprache ist das wichtigste Instrument des Arztes. Ohne Sprache kann er fast nichts, durch die Sprache fast alles bewirken. Ein niedergelassener Arzt verbringt 60 bis 80 Prozent, ein Klinikarzt 40 bis 50 Prozent seiner Arbeitszeit im Gespräch mit seinen Patienten. Die Zahl der Patientengespräche kann sich im Laufe des Berufslebens auf bis zu 200.000 summieren [4].

Für Patienten am wichtigsten: das Gespräch mit ihrem Arzt

Alle repräsentativen Patientenbefragungen nach dem Wesen des idealen Arztes aus den USA, England, Österreich oder Deutschland kommen zu deckungsgleichen Resultaten: Patienten wünschen sich in erster Linie, dass der Arzt mit ihnen spricht, ihnen zuhört und Interesse für sie zeigt. Medizinische Kompetenz und apparative Ausstattung rangieren weit dahinter im Mittelfeld [5]. In einer groß angelegten Studie in Deutschland (1999) wünschten sich 92 Prozent der befragten Patienten, das Gespräch zwischen Arzt und Patient solle stärker in den Vordergrund rücken. Eine Befragung von 824 Patienten in ärztlichen Praxen in England (2001) ergab, dass 88 Prozent vor allem das Gespräch mit ihrem Arzt suchten, nur jeder Vierte wollte ein Rezept [6 Externer Download Link].

70 bis 80 Prozent aller Diagnosen lassen sich nur mit einer sorgfältigen Anamnese stellen, das ist seit langem bekannt. Inzwischen gilt auch als gesichert, dass sich eine gute Kommunikation messbar auf den Krankheitsverlauf auswirkt. Zelda Di Blasi (Universität York, Großbritannien) konnte in einer Untersuchung an 3.611 Patienten zeigen, dass eine warmherzige, freundliche und angstnehmende Zuwendung den Verlauf körperlicher Krankheiten - unabhängig von der sonstigen Behandlung - eindeutig verkürzt und die Nebenwirkungsrate verringert [7]. Umgekehrt steht ebenso fest, dass sich schlechte Kommunikation negativ auf den Krankheitsprozess auswirkt. Eine große prospektive Untersuchung des Tumorzentrums München (2003) an 1.131 Brustkrebs-Patientinnen hat ergeben, dass die Frauen, die über eine schlechte Kommunikation klagten, eine signifikant schlechtere Lebensqualität aufwiesen [8]. Weitere unerwünschte Effekte von Kommunikationsstörungen und -defiziten im Arzt-Patienten-Gespräch sind:

  • Mangelhafte Compliance,
  • gestörtes Vertrauensverhältnis,
  • Bruch der Arzt-Patient-Beziehung: Arztwechsel [9 Externer Link].
Ärzte mit guter kommunikativer Kompetenz können die Probleme ihrer Patientinnen genauer identifizieren. Ihren Patientinnen wiederum gelingt es besser, sich an die Krankheitssituation zu adaptieren. Dies führt zu einer größeren Zufriedenheit mit der Behandlung und Betreuung [10 Externer Download Link]. Viele Ärzte wissen nicht, dass eine hohe Gesprächsführungskompetenz nicht nur die Zufriedenheit ihrer Patientinnen erhöht, sondern auch ihre eigene. Die subjektive Belastung durch die Krankheit ihrer Patientinnen und die Stressbelastung durch den Beruf wird als niedriger empfunden und die Neigung zu Depressionen und Ängsten (bei Ärzten überdurchschnittlich hoch) nimmt ab. Gründe genug, sich eine gute kommunikative Kompetenz anzueignen.

Wo sprechen Sie mit Ihren Patientinnen?

Voraussetzung für ein gutes Gespräch zwischen Arzt und Patient ist ein angemessener Gesprächsrahmen. Er bestimmt mit, unter welchem Stern das Gespräch steht und ob sich eine positive Grundstimmung aufbauen lässt. Hektik, Lärm und Unterbrechungen verhindern ein zusammenhängendes Gespräch und eine tatsächliche Präsenz. Sie können sich nur dann ganz auf die Patientin einstellen, wenn Sie nicht nur körperlich, sondern auch mit Ihren Gedanken, Sinnen und Ihrer Emotionalität anwesend sind.
 

Die Kommunikation bestimmt die Arzt-Patienten-Beziehung

"Man kann nicht nicht kommunizieren" lautet das wichtigste Axiom des Kommunikationsforschers Paul Watzlawick [11]. Dabei wird Kommunikation im weitesten Sinne als jedes Verhalten in einer sozialen Situation verstanden. Da man sich nicht nicht verhalten kann, kann man folglich auch nicht nicht kommunizieren.

Ein weiteres wichtiges Axiom lautet: Die Kommunikationsabläufe bestimmen die Natur der Beziehung zwischen den Kommunikationspartnern. Diese Erkenntnis ist für die Arzt-Patient-Beziehung von ausschlaggebender Bedeutung. Ihre Qualität steht und fällt mit der Qualität der Kommunikation. Dies spielt dort eine ganz besondere Rolle, wo sensible Themen besprochen werden. Beispielsweise Fortpflanzungsmedizin, psychosomatische Probleme im Klimakterium oder gynäkologische Onkologie in der gynäkologischen Praxis.

Die räumliche Situation wirkt sich ebenfalls auf Gespräche aus. Für das Arzt-Patientin-Gespräch am günstigsten ist die weite persönliche Distanz (90 bis 150 cm). Sie signalisiert offene Gesprächsbereitschaft und hat sich für Gespräche im Sitzen, aber auch am Krankenbett, am besten bewährt. Das Sitzen über Eck ist dem Sitzen vis à vis vorzuziehen. Das gegenüber Sitzen mit seinem frontalen Einschüchterungscharakter ist die typische Sitzordnung für ein Vorgesetztengespräch. Das Sitzen über Eck (am besten über die linke Tischecke) vermeidet, dass zwischen den Gesprächspartnern blockierende Akten, Notizen oder Befunde liegen. Sitzposition und Gesprächsdistanz lassen sich in Grenzen variieren, Gesprächspausen leichter einlegen.

Verstehen setzt Verständlichkeit voraus

Voraussetzung dafür, dass wir eine Patientin verstehen, dass sie uns versteht und schließlich, dass sie sich in ihrer Krankheit selbst versteht, ist eine verständliche Sprache. Die klinische Realität weicht weit davon ab: Die Hälfte der Beschwerden der Patienten kommt nicht zur Sprache [12 Externer Download Link], Arzt und Patient stimmen in mehr als der Hälfte der Fälle nicht darin überein, was das hauptsächliche Gesundheitsproblem ist [13] und weniger als die Hälfte der psychosozialen Störungen werden erkannt.

Wie ein normaler Mensch soll der Arzt mit seiner Patientin sprechen. Die Grundzüge einer verständlichen Sprache sind:

  • Einfachheit,
  • Sprechen in Bildern,
  • keine kommunikativen Unverbindlichkeiten.
Die einfache Sprache verwendet kurze Sätze und bekannte Wörter. Wo Fachausdrücke unvermeidbar sind, müssen sie erklärt werden. Die einfache Sprache wirkt echt und erzeugt Vertrauen. Allerdings lassen sich nur eindeutige Sachverhalte in einfacher Sprache ausdrücken.

Sprechen in Bildern erhöht die Anschaulichkeit. Die Umgangssprache ist voller Bilder. Sehr viele Menschen sind Augenmenschen und für sprachliche Bilder empfänglich. Dazu gehören auch das Gleichnis und der Vergleich. Ergänzend können Schaubilder, Skizzen und Piktogramme eingesetzt werden. Die meisten Patientinnen sprechen selbst in Bildern: "Das hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen ...", "Seither bin ich wie von hohen Bergen umringt ..." Von Patientinnen selbst kreierte Bilder haben einen hohen symbolischen und damit diagnostischen Wert.

Kommunikative Unverbindlichkeiten sind wirkungslos und daher zu vermeiden: Man- und Es-Formulierungen ("... es ist nicht gut für die Gefäße, wenn man zu fett isst ..."), Verallgemeinerungen ("... meistens helfen diese Tabletten sehr gut ..."), Killerphrasen ("Wieso stellt das für Sie ein Problem dar?"), unverbindliche und unbestimmte Formulierungen (eigentlich, an und für sich, gewissermaßen, unter Umständen) und Wir-Aussagen ("Wir müssen jetzt da durch."). Niemand fühlt sich dabei wirklich persönlich angesprochen.

Ihre Patientin lebt in einer anderen Wirklichkeit

Ein wesentliches Ziel der Arzt-Patient-Kommunikation ist die Schaffung einer gemeinsamen Wirklichkeit. Für einen Arzt machen der mammographische Befund, der Rezeptorstatus, Tumormarker und eventuell Metastasierungsmuster den Brustkrebs seiner Patientin aus. Für die Patientin bedeutet der Krebs möglicherweise den Zusammenbruch ihres Weltbildes und ihrer Zukunftsplanungen. Die Selbstauslegung der Krankheit durch die Patientin und die Wahrnehmung dieser Krankheit durch den Arzt finden in zwei verschiedenen Wirklichkeiten statt.

Sich vorzustellen, dass andere Menschen in einer gleichen Situation eine völlig andere Wirklichkeit erleben, fällt schwer. Jeder lebt in seiner eigenen Wirklichkeit, die ihm als die unwiderlegbar richtige oder einzige vorkommt. Zu akzeptieren, dass es nicht nur eine einzige (die eigene) Wirklichkeit gibt, sondern so viele Wirklichkeiten wie es Individuen gibt, ist jedoch Voraussetzung für eine tragfähige Arzt-Patient-Beziehung. Der Brückenschlag zwischen den Wirklichkeiten gelingt nur mit guter Kommunikation und Empathie.

In welcher Haltung begegnen Sie Ihrer Patientin?

Ein Arzt sollte seinen Patienten am besten mit einfühlendem Verstehen (Empathie) begegnen. Eine dominante eigene Vorstellungswelt und emotionale Neutralität verhindern eine empathische Annäherung. Gründe dafür sind nicht selten eigene Ängste, Schuldgefühle oder ein schwaches Selbstwertgefühl. Auch die ärztliche Ausbildung, die vorrangig auf das naturwissenschaftliche Verständnis von Krankheiten ausgerichtet ist, steht der Entwicklung einer empathischen Haltung deutlich entgegen. Dabei ist der Wunsch empathisch zu sein meistens bestimmend für die Wahl des Arztberufes.

Es geht um das Einfühlungsvermögen in die Erlebniswelt der Patienten. Empathie bedeutet nicht, der Gefühls- und Erlebniswelt einer Patientin zuzustimmen. Dies wäre für die Krankheitsverarbeitung unter Umständen ungünstig. Der Arzt kann Abweichungen seiner eigenen Bewertung durchaus zum Ausdruck bringen, zum Beispiel "So wie Sie mir Ihre Beziehung schildern, kann ich nachvollziehen, dass Sie Ihren Partner für gefühlskalt halten."

Empathie bedeutet den Versuch, das Erleben eines anderen so vollständig und genau nachzuvollziehen, als ob es das eigene wäre. Wichtig ist allerdings, sich des Als-ob bewusst zu sein und den Als-ob-Status nicht zu verlassen. Diese notwendige Distanz grenzt Empathie von Identifikation, Mitleid oder Sympathie ab. Bildlich gesprochen soll sich der Arzt in die Schuhe seiner Patientin stellen, um die Welt aus ihrer Perspektive wahrnehmen zu können. Er muss sich aber bewusst sein, dass er nicht in seinen eigenen Schuhen steht und schließlich aus diesen Schuhen auch wieder heraustreten. Aktives Zuhören und Spiegeln (s. u.) vermitteln den Patienten - meist unbewusst - das einfühlende Verstehen ihres Arztes.

Den "So-ist-das-gemeint-Anteil" erkennen

Kommunikation läuft immer gleichzeitig auf der Informations- und der Beziehungsebene ab. Alle Botschaften einer Nachricht können explizit oder implizit sein. Mit der expliziten Botschaft wird etwas ausdrücklich formuliert, während die implizite Botschaft etwas nur indirekt ausdrückt. Gerade darauf kommt es jedoch meistens an. So kann die explizit klare Botschaft "Die neuen Pillen vertrage ich nicht" implizit bedeuten: "Vielleicht ist die Diagnose nicht richtig ... ", "Ich vertraue Ihnen nicht ... " oder sogar "Mir hilft überhaupt nichts mehr ... ". Die Schwierigkeit besteht darin, den "So-ist-das-gemeint-Anteil" einer Nachricht herauszufinden. Beim Sprechen geschehen immer vier Dinge: Wenn ich spreche,

  • teile ich einen Sachverhalt mit (Information),
  • sage ich meinem Gegenüber, was ich von ihm halte und wie wir zueinander stehen (Beziehung),
  • spreche ich immer auch über mich (Selbstoffenbarung),
  • versuche ich Einfluss auf meinen Gesprächspartner zu nehmen (Appell).
Die gesprochene Nachricht enthält also nicht nur eine Botschaft, sondern vier [14] (s. Abb. 1).

[IMAGE] Abb. 1: Betrachten Sie die Nachricht "Ich habe immer noch starke Schmerzen" mit der kommunikationspsychologischen Lupe, dann erkennen Sie, dass richtiges Verstehen Vierohrigkeit voraussetzt: ein Sachohr, ein Selbstoffenbarungsohr, ein Beziehungsohr und ein Appellohr (modif. nach F. Schulz von Thun).

Die Beziehungsebene bestimmt viel mehr als die ausgetauschten Informationen das Gelingen der Kommunikation. Die Richtigkeit von Informationen lässt sich relativ leicht klären, daher ist die Informationsebene meist eindeutig. Auf der Beziehungsebene gibt es kein richtig oder falsch. Deshalb beruhen Störungen in der Kommunikation überwiegend auf Missverständnissen in der Beziehungsebene, auf welcher sie zuerst geklärt werden müssen. Sie können einen Gesprächspartner entweder akzeptieren, ablehnen oder sich in ihn einfühlen. Sich-Einfühlen-Können und aufmerksames Zuhören sind die wichtigsten kommunikativen Fähigkeiten eines Arztes.

Sind Sie ein guter Zuhörer?

Ein guter Zuhörer muss empfänglich für alle vier Nachrichten sein, oder wie Schulz von Thun es ausdrückt, "Vierohrigkeit" besitzen [15]: ein Sachohr für den Inhalt einer Nachricht, ein Beziehungsohr dafür, wie Sender und Empfänger zu einander stehen, was sie von einander halten, ein Selbstoffenbarungsohr, um herauszufinden wer oder was der Gesprächspartner ist und schließlich ein Appellohr für das, was der andere von ihm verlangt. Wer nur das Sachohr oder nur das Beziehungsohr benutzt, wird zu unterschiedlichen und auch unvollständigen Interpretationen kommen. Für den Arzt ist ein gut geschultes Selbstoffenbarungsohr von besonderer Bedeutung, es ist sozusagen sein diagnostisches Ohr.

Der positive Effekt des aktiven Zuhörens kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Ziel ist nicht nur, dass sich Arzt und Patientin verstehen, sondern auch, dass die Patientin sich selbst versteht. Dies ist wichtig für die Selbstauslegung der Krankheit und die Krankheitsverarbeitung. In einer kanadischen Untersuchung wurden Frauen mit Brustkrebs befragt, welches Verhalten ihres Arztes zum Zeitpunkt der Diagnose für sie am hilfreichsten gewesen sei [16]. Die Antwort lautete: seine Fähigkeit mir zuzuhören.

Aktives Zuhören ist das komplementäre Element zum Sprechen. Erst die Verflechtung von Sprechen und aktivem Zuhören ermöglicht ein verstehendes Gespräch [17]. Aktives Zuhören, auch kontrolliertes Zuhören genannt, fällt schwerer als Sprechen. Es erfordert völlige Präsenz, Interesse und Zugewandtsein. Wichtig ist es, durch Blickkontakt und Körperhaltung der Patientin die Bereitschaft zum Zuhören unmissverständlich zu signalisieren. Nicht alle Patientinnen haben erlebt, dass ihnen einfühlend zugehört wird. Schulen Sie Ihr Ohr für die Hintergründe, die Zwischentöne und das Unausgesprochene.

In Worte fassen, was die Patientin nicht ausdrücken kann

Die Methode des Spiegelns bildet die entscheidende Ergänzung zum aktiven Zuhören und zählt zu den wichtigsten Gesprächstechniken. Als Väter des Spiegelns gelten der amerikanische Gesprächstherapeut Carl Rogers [18] und im deutschsprachigen Raum der Psychotherapeut Reinhard Tausch [19]. Allerdings findet sich schon bei Sigmund Freud der Hinweis: "Der Arzt ... soll wie eine Spiegelplatte nichts anderes zeigen, als was ihm gezeigt wird."

Das Prinzip des Spiegelns beruht darauf, dass ein Gesprächspartner wiedergibt, was er durch aktives Zuhören gehört und verstanden hat, bzw. glaubt verstanden zu haben. Die Kurzformel lautet: Spiegeln = Rückübersetzen. Spiegeln bedeutet auch, in Worte zu fassen, was der Gesprächspartner nicht richtig ausdrücken kann. Dies fördert zunächst das Gefühl des Verstanden- und Angenommenwerdens. Der wesentliche Effekt für uns Ärzte liegt aber darin, dass das Spiegeln den Patienten hilft, mehr Klarheit über ihre eigene Erlebniswelt, ihre Gefühle, Affekte, Einstellungen, Haltungen, Wünsche und Ziele zu gewinnen und besser mit ihnen umzugehen [20]. Das Spiegeln fördert die Selbsterforschung der Patienten und ist damit nicht nur ein diagnostisches sondern auch ein therapeutisches Vorgehen.

Zum Spiegeln eignen sich vor allem gefühlsnahe und gefühlsbetonte Äußerungen, wie Wünsche, Ziele, Einstellungen und Bewertungen. Die emotionalen Erlebnisinhalte in Worte zu fassen heißt Verbalisieren. Paraphrasieren bedeutet, dass das Gehörte und Verstandene mit eigenen Worten formuliert wird. Ein Beispiel: Patientin: "Auch meine Mutter ist an Brustkrebs gestorben." Der Arzt spiegelt: "Ihre Krankheit erinnert Sie immer wieder an das Schicksal Ihrer Mutter." (= Paraphrasieren) oder "Manchmal haben Sie Angst, dass es Ihnen genauso ergehen könnte?" (= Verbalisieren). Es ist günstig öfters in der Frageform zu spiegeln, da dies Korrekturen zulässt. Das Spiegeln als komplementäre Methode zum aktiven Zuhören ist äußerst wertvoll, sollte aber unter Anleitung erlernt werden.

Das Trichterprinzip gibt dem Gespräch Struktur und Wirkung

Gespräche, die gut strukturiert sind, haben eine wesentlich nachhaltigere Wirkung als Gespräche, die "irgendwie" ablaufen. Begegnen sich Arzt und Patient zum ersten Mal, ist der Gesprächsanfang häufig die schwierigste Phase und oft ist er richtungsweisend für die gesamte Arzt-Patient-Beziehung. Fehler, die zu diesem Zeitpunkt begangen werden, sind kaum mehr zu korrigieren. Goethe hat dieses Problem treffend beschrieben: "Wer das erste Knopfloch verfehlt, kommt mit dem Zuknöpfen nicht zurande ..."[21].

Wichtig ist es, die Patientin dort abzuholen, wo sie steht. Eine kurze Anwärmphase kann günstig sein. Die weitere Gesprächsführung sollte nach dem Trichterprinzip erfolgen: offener Anfang mit meist offenen Fragen, die eine breite Entfaltung ermöglichen. Dann folgt die thematische Fokussierung mit halboffenen oder geschlossenen Fragen. Aktives Zuhören fördert die emotionale Öffnung. Durch Spiegeln kann das gegenseitige Verstehen gesichert werden. Zwischendurch ist es günstig, das bisherige Gespräch zusammenzufassen. Vor der Vereinbarung eines Folgetermins sollte die Klärung eventuell noch offener Fragen angeboten werden ("Ist noch etwas unklar geblieben?").

Empathie, gutes Zuhören und die Fähigkeit das Gehörte und Verstandene zurück zu spiegeln sind die untrennbaren Komponenten für ein gelungenes Gespräch mit Ihrer Patientin. Viel Erfolg!

Literatur:

[1] Geisler, L.: Arzt und Patient - Begegnung im Gespräch. 4. Auflage, pmi AG. Verlag Frankfurt/Main. 2002. 
URL: http://www.linus-geisler.de/monografien/monograf.html#ap Interner Link

[2] Geisler, Linus: Der gute Arzt. GEO WISSEN - Die neuen Wege der Medizin. Nr. 30, Ausgabe September 2002, S. 76-81 
URL: http://www.linus-geisler.de/art2002/ 0916geo-arzt.html Interner Link

[3] Gask L, Usherwood T: ABC of psychological medicine. The consultation. BMJ 2002;324:1567-9. 
URL: http://bmj.com/cgi/reprint/324/7353/1567.pdf Externer Download Link

[4] Stein, R.: Gespräch in der Sprechstunde vernachlässigt. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.12.2000, Nr. 284, S. N 3

[5] Geisler, L.: Arzt und Patient im Zeitalter der High-Tech-Medizin. Nieren- und Hochdruckkrankheiten, 19, 10 (1990) 466 - 472

[6] Little, P, Everitt H, Williamson J, Warner G, Moore M, Gould C, Ferrier K, Payne Sh: Preferences of Patients for Patient centred approach to consultation in primary care: observational study. BMJ 2001; 322:468-472 (24 February) 
URL: http://bmj.com/cgi/reprint/322/7284/468.pdf Externer Download Link

[7] Di Blasi Z, Harkness E, Ernst E, Georgiou A, Kleijnen J.: Influence of Context Effects on Health Outcomes: A Systematic Review. The Lancet 357 (2001): 757-762.

[8] Kerr, J., Engel J, Schlesinger-Raab A, Sauer H, Hölzel D: Communication, quality of life and age: results of a 5-year prospective study in breast cancer patients. Annals of Oncology 14: 421-427, 2003.

[9] Keating N. L. et al. (2002) How are Patient's specific ambulatory experiences related to trust, satisfaction, and considering changing physicians? Journal of general internal medicine: official Journal of the Society for Research and Education in Primary Care Internal Medicine, 17(1), S. 29-39. 
Abstract-URL: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/htbin-post/Entrez/query_old?uid=11903773&form=6&db=m&Dopt=b Externer Link

[10] Maguire P, C Pitceathly: Key communication skills and how to acquire them. BMJ 325, 2002, S. 697-700. 
URL: http://bmj.com/cgi/reprint/325/7366/697.pdf Externer Download Link

[11] Watzlawick, P, Beavin J H, D D Jackson: Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien. H. Huber, Göttingen (2000)

[12] Maguire P, C Pitceathly: Key communication skills and how to acquire them. BMJ 325, 2002, S. 697-700. 
URL: http://bmj.com/cgi/reprint/325/7366/697.pdf Externer Download Link

[13] Buddeberg C, Willi J, (Hrsg): Psychosoziale Medizin, 2. Aufl. Springer Berlin Heidelberg New York 1998.

[14] Schulz von Thun, F: Miteinander reden: Störungen und Klärungen, 1 und 2. Reinbek 1999.

[15] aaO (10)

[16] Harris SR, Templeton E. Who's Listening? Experiences of Women with Breast Cancer in Communicating with Physicians. Breast J 2001 Nov-Dec; 7(6): 444-9

[17] Eine hervorragende Beschreibung des guten Zuhörens findet sich bei: Ende, M: Momo. Stuttgart 1973. Die entscheidende Passage beginnt mit dem Satz: "Was die kleine Momo konnte wie kein anderer, das war: Zuhören."

[18] Rogers, C.: Die klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie. Neuauflage. Frankfurt a.M. Fischer Tb. 1978.

[19] Tausch, R., A. Tausch: Gesprächspsychotherapie. 8. Auflage. Göttingen. Hogrefe. 1981.

[20] Weber, W.: Wege zum helfenden Gespräch. Gesprächspsychotherapie in der Praxis. E. Reinhardt, München. (1996)

[21] v. Goethe, J.W.: Maximen und Reflexionen. Text der Ausgabe von 1907. Insel, Frankfurt.
 


Geisler, Linus S.: Wie kommunizieren Sie mit Ihren Patientinnen? FRAUENARZT, 44. Jahrgang, Juni 2003, S. 685-689
Artikel-URL: http://www.linus-geisler.de/art2003/06frauenarzt-kommunikation.html

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