Arzt und Patient
am Telefon
Sollen Patient und Arzt am Telefon über
medizinische Fragen miteinander sprechen? Ist das Telefonieren vielleicht
nur ein "Sprechstundenverschnitt", um Zeit zu sparen oder den direkten
Kontakt zu vermeiden? Die Antwort lautet: Telefonieren mit dem Patienten
kann durchaus eine sinnvolle Form des ärztlichen Gesprächs sein,
wenn es als Ergänzung, Abrundung oder zum Aufrechterhalten notwendiger
Kontakte eingesetzt und auf bestimmte Inhalte beschränkt wird.
Die Vorteile des Telefonierens liegen
auf der Hand. Telefonieren kann eine erhebliche Zeitersparnis für
Arzt und Patient bedeuten. Es ist nicht einzusehen, warum ein älterer
gehbehinderter Mensch, der auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen
ist, 2 Stunden Zeit aufwenden soll, um in der Praxis einen Befund zu erfahren,
der ihm telefonisch in 3 Minuten mitgeteilt werden könnte. Der Patient
kann rascher informiert werden. Dies spielt besonders dann eine Rolle,
wenn das günstige Ergebnis eines Untersuchungsbefundes (z.B. histologische
Untersuchung) von großer Tragweite sein könnte. Durch das Telefon
kann die meist sehr belastende Wartezeit erheblich abgekürzt werden.
Aber auch das telefonische Mitteilen von
Untersuchungsbefunden, die für den Patienten zwar interessant sind,
jedoch keine sehr weitreichende Bedeutung besitzen, kann als persönliche
Geste nicht unwesentlich zur Festigung des Arzt-Patienten-Verhältnisses
beitragen. Wer dem Patienten sagt: "Sobald mir das Ergebnis dieser Untersuchung
vorliegt, informiere ich Sie umgehend telefonisch", dokumentiert ein deutliches
persönliches Interesse an dem Patienten und nimmt ihm das Gefühl,
einer unter Hunderten in der Sprechstunde zu sein. Ein Ordinarius für
Gynäkologie teilte seinen Patientinnen grundsätzlich die histologischen
und zytologischen Befunde von Vorsorgeuntersuchungen oder Kürettagen
umgehend telefonisch mit, was von der Mehrzahl der Frauen sehr positiv
bewertet wurde.
Der Patient, der weiß, dass er bei
bestimmten Nebenwirkungen, den Begleiterscheinungen einer Therapie oder
speziellen Symptomen seinen Arzt unmittelbar anrufen kann, fühlt sich
besser betreut und lebt in einem stärkeren Gefühl der Sicherheit.
Insofern kann Telefonieren über Therapiefragen und -probleme zur Compliance-Verbesserung
beitragen
und dem Arzt die Therapie- und Verlaufskontrolle
erleichtern.
Schließlich können Patienten, die wegen einer chronischen Erkrankung
eine Langzeitbetreuung brauchen und keine optimale Compliance aufweisen,
durch gelegentliche Telefonate "am langen Zügel" geführt werden.
Telefonische Kommunikation mit dem Patienten
hat aber auch eindeutige Nachteile: Da nur ein verbaler Kontakt
möglich ist, entfällt die gesamte Skala nonverbaler Kommunikationsformen
(Gestik, Mimik, Körpersprache). Der "klinische Blick", der auch im
Zeitalter der High-Tech-Medizin nichts an Bedeutung verloren hat, ist nicht
möglich. Telefonieren zwingt zu einer stärker gedrängten,
mehr komprimierten Form der Mitteilung. Damit werden höhere Anforderungen
an das Auffassungsvermögen gestellt, weil der redundante Anteil geringer
wird. So können sich leichter Missverständnisse einstellen. Die
sprachlichen Verkürzungen beim Telefonieren können den Gesprächscharakter
nüchterner und unpersönlicher erscheinen lassen.
Ein wesentlicher Nachteil des Telefonierens
liegt in der deutlich erschwerten Abschätzung der Reaktion des
Patienten, weil die meisten Menschen beim Telefonieren emotional zurückhaltender
sind und Zusatzinformationen über nonverbale Signale entfallen. Man
kann es immer wieder erleben, dass Patienten oder Angehörige, die
einen schwerwiegenden Befund am Telefon scheinbar völlig gefasst aufnehmen,
später in der Sprechstunde berichten, wie tief betroffen sie in Wirklichkeit
waren.
Beim Telefonieren gibt es eine Reihe typischer
Fehler und Mängel, von denen natürlich auch das Telefonat
zwischen Arzt und Patient nicht verschont bleibt. G.F. GROSS nennt in einer
Übersicht über fehlerhaftes Telefonieren die wichtigsten
Punkte:
-
Der Anrufer bereitet sich nicht auf
das Telefonat vor.
-
Erst der Griff zum Telefon, der Sinn ergibt
sich später.
-
Zuerst wählen und dann Schreibmaterial
und Unterlagen zusammensuchen.
-
Weitschweifige, verwirrende Einleitungen und
zeitraubende Vorreden.
-
Unwichtiges Füllmaterial, umständliche
Erklärungen, unnötige Wiederholungen.
-
Wesentliches und Unwesentliches fließen
zu sehr ineinander.
-
Der Anrufer überfällt den Angerufenen
mit einem Wortschwall und braucht eine Ewigkeit, um das Wenige zu sagen,
das er wollte.
Für das professionelle Telefonieren
zwischen Arzt und Patient sind folgende Punkte wichtig:
-
Klären, wann der Patient, mit
dem man häufiger telefonieren muss, am besten erreichbar ist.
-
Klären, ob dieser Zeitpunkt auch
für Telefonate mit medizinischem Inhalt geeignet ist. So kann
der Patient beispielsweise an seinem Arbeitsplatz besonders leicht erreichbar
sein, aber nicht ungestört über Symptome oder Befunde sprechen.
-
Das Problem der Schweigepflicht ist
beim Telefonieren besonders zu berücksichtigen: Handelt es sich beim
Angerufenen wirklich um den Patienten, mit dem man telefonieren möchte?
Beim geringsten Zweifel sollte das Telefonat unterbleiben oder nicht fortgesetzt
werden. Kann u.U. jemand mithören, ohne dass der Patient dies am Telefon
zum Ausdruck bringen kann? Problematisch ist es ebenfalls, wenn man statt
des Patienten Angehörige erreicht, ohne zu wissen, wie weit
diese informiert sind und wie weit der Patient eine Information seiner
Angehörigen wünscht. Auch an Angehörige dürfen Auskünfte
am Telefon nur gegeben werden, wenn dies zweifelsfrei im Sinne des Patienten
ist.
-
Bei Patienten, denen telefonisch die Mitteilung
eines wichtigen Befundes versprochen wurde, sollte der Rückruf
pünktlich eingehalten werden. Ist man selbst verhindert oder steht
der Befund noch aus, sollte dies dem Patienten zum vereinbarten Gesprächszeitpunkt
mitgeteilt werden. Es ist zweckmäßig, dem Patienten mitzuteilen,
wann man selbst am günstigsten zu ereichen ist. Von dem Arzt
für Allgemeinmedizin Franz IMMESBERGER in Eltville stammt der Vorschlag,
täglich eine Telefonsprechstunde, z.B. von 12.00 bis 12.30 Uhr durchzuführen.
-
Es ist zweckmäßig, die eigenen
Telefonate
nicht verstreut über den Tag zu führen, sondern in einem
oder mehreren Blöcken zusammenzufassen.
-
Es ist nicht nur wichtig, sich darauf vorzubereiten,
was man im Telefongespräch als Wesentliches mitteilen will, sondern
sich auch auf mögliche Gegenfragen einzurichten.
-
Alles, was an medizinisch relevanten Fakten
telefonisch erörtert wurde, muss schriftlich festgehalten werden.
-
Erwartet der Patient die Mitteilung eines
wichtigen
Befundes, so sollte er nicht durch lange Vorreden auf die Folter gespannt
werden. Ist das Ergebnis günstig, sollte dies zuerst genannt werden,
Einzelheiten können später folgen ("Ich kann Ihnen die gute Nachricht
mitteilen, dass Ihre Blutuntersuchung völlig normal ausgefallen ist").
-
Der Patient muss Zeit haben, auf die
Mitteilung zu reagieren, und der Arzt muss sich Zeit nehmen, trotz der
eingeschränkten Beurteilungsmöglichkeiten am Telefon die Reaktion
des Patienten abzuschätzen. Ebenso muss der Patient genügend
Gelegenheit zu Rückfragen haben, die sich aktuell aus einer
Information ergeben.
-
Handelt es sich bei dem Befund, auf dessen
Ergebnis der Patient am Telefon wartet, um ein schwerwiegendes Ergebnis,
so
sollte dies nicht am Telefon, sondern in einem direkten Gespräch
erörtert
werden (z.B. histologischer Malignitätsbeweis, positiver HIV-Test).
Da der Patient aber auf den Anruf wartet, darf das angekündigte Telefonat
nicht unterbleiben. Ein Weg besteht darin, dem Patienten mitzuteilen, dass
der Befund zwar inzwischen eingetroffen ist, es aber zweckmäßig
erscheint, ihn in der Sprechstunde zu erläutern (Besprechungstermin
so kurzfristig wie möglich ansetzen!).
-
Grundsätzlich sollte bei Telefonaten,
in denen Ängste, Missverständnisse und Probleme nicht eindeutig
ausgeräumt oder beseitigt werden konnten, auf eine rasche Klärung
in der Sprechstunde gedrängt werden.
Richtig eingesetzt, kann Telefonieren
helfen, Zeit zu sparen, die Compliance zu verbessern und das Arzt-Patienten-Verhältnis
persönlicher zu gestalten. |
|
Linus
Geisler: Arzt und Patient - Begegnung im Gespräch. 3. erw. Auflage,
Frankfurt a. Main, 1992
©
Pharma Verlag Frankfurt
Autorisierte
Online-Veröffentlichung: Homepage Linus Geisler - www.linus-geisler.de
|