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Linus Geisler: Arzt und Patient - Begegnung im Gespräch   © Pharma Verlag Frankfurt 
Die Kunst der Frage
Die gute Frage 
Unproduktive Fragen
Verbotene Fragen
Der Patient fragt
Die Kunst der Frage

Die gute Frage

Die richtigen Fragen zu stellen, zählt zu den elementaren Techniken jeder Gesprächsführung. Eine unzulängliche Fragetechnik muss zwangsläufig zu einem unbefriedigenden Gespräch führen. Viele Gespräche zwischen Arzt und Patient misslingen, weil der Arzt die falschen Fragen stellt. Falsch kann in diesem Zusammenhang bedeuten, dass eine falsche Fragetechnik verwendet wurde oder das Frageziel falsch war, weil z.B. im Gespräch nur die Interessen des Arztes, nicht aber die des Patienten berücksichtigt wurden. Fragen ist der verbalisierte Wunsch nach einer bestimmten Information. Nur gute Fragen können zu der gewünschten Antwort führen. Eine Frage ist gut, wenn sie:
  • klar und unmissverständlich formuliert wird,
  • zum richtigen Zeitpunkt gestellt wird,
  • die Bereitschaft zum Antworten fördert,
  • dem Gesprächsziel dient,
  • den Gesprächsgegenstand vertieft,
  • das Gespräch weiterbringt,
  • die Kommunikation fördert und
  • Empathie erkennen lässt.
Dies bedeutet im einzelnen: Schwammige, unpräzise und mehrdeutige Fragen können nicht zu eindeutigen Antworten führen. Eine zum falschen Zeitpunkt gestellte Frage ist ein klassischer Gesprächstörer. Alle wertenden, aggressiven, verletzenden oder in Verhörform formulierten Fragen lösen Widerstände aus. Der Informationswert einer widerwillig gegebenen Antwort ist zudem fragwürdig. Die Frage muss von der Formulierung und vom Inhalt so gestellt werden, dass der Patient gerne antwortet. Die gute Frage fördert die Kommunikation zwischen Arzt und Patient, weil sie das Interesse des Arztes an der Situation des Patienten signalisiert, Verständnis erkennen lässt und ihm Antworten ermöglicht, die nicht Ärger, Scham oder Angst auslösen.

Die gute Frage bringt das Gespräch weiter, weil sie den Gesprächsfluss fördert. Dies ist besonders am Gesprächsbeginn wichtig. GOETHE schreibt in den ‘Maximen und Reflexionen‘: "Wer das erste Knopfloch verfehlt, kommt mit dem Zuknöpfen nicht zu Rande." Im Idealfall werden Fragen und Antworten nach dem "Reißverschlussprinzip" eine Abfolge bilden, die Gesprächsbereitschaft und Vertrauen fördert, thematische Abschweifungen vermeidet und weder auf der informativen noch der kontaktiven Ebene zu Brüchen führt.

Die gute Frage ist ein Instrument, das im Gespräch zwischen Arzt und Patient vielseitig verwendet werden kann. Im Gegensatz zum Fragebogen dient sie nicht nur dem Informationsgewinn, sondern kann wesentliches Element der Patientenführung und der Etablierung eines tragfähigen Arzt-Patienten-Verhältnisses sein. Die gute Frage ist bereits ein Teil der Therapie.

Von der Fragetechnik her können 2 Arten von Fragen unterschieden werden:

  1. geschlossene Fragen (Entscheidungsfragen, strukturierte Fragen)
  2. offene Fragen (nichtstrukturierte Fragen)


Geschlossene Fragen

Geschlossene Fragen können nur mit Ja oder Nein, bzw. einer knappen Information beantwortet werden. Beispiele: "Haben Sie häufig Kopfschmerzen?" - "Ja." "Wann wurden Sie am Magen operiert?" - "1981." Geschlossene Fragen dienen in erster Linie dazu, gezielte Informationen zu gewinnen. Sie können auch eingesetzt werden, um den Patienten thematisch bei der Stange zu halten und ausufernde Exkurse ohne wesentlichen Informationsgewinn einzudämmen.

Geschlossene Fragen eignen sich wegen ihrer knappen Form und weil nur ein schmaler Sektor des Gesamtproblems erfasst wird, weniger gut, eine Gesprächssituation zu vertiefen. Sie sollten daher nur so häufig wie nötig eingesetzt und bei der Gesprächseröffnung vermieden werden. Ein Gespräch, das im wesentlichen nur in Form von geschlossener Fragen abläuft, wirkt durch die schematisierte Gesprächsentwicklung, den trockenen Stil und die eingeschränkte Flexibilität wie eine Fragebogenaktion.

Die Fragetechnik mit geschlossenen Fragen weist eine Reihe von Nachteilen und Gefahren auf:

  • Da geschlossene Fragen meist nur auf Teilaspekte des gesamten Problems abzielen, können sie thematisch zur Einengung statt zur Vertiefung führen. Es besteht die Gefahr, dass das Gespräch sich nur auf vordergründige Belange bezieht und die tieferliegende Problematik nicht zur Sprache kommt. Die "Pingpong-Technik" der Gesprächsführung mit geschlossenen Fragen ist auch wenig geeignet, Kontakte zwischen den Gesprächspartnern zu fördern.
  • Auf die meist klaren geschlossenen Fragen kann der Patient häufig nicht so präzise Antworten geben, wie es von ihm gewünscht wird. Wie viele Patienten wissen wirklich genau, wann sie appendektomiert wurden, wie hoch ihr Augeninnendruck ist oder ob ihnen die 0,1- oder die 0,2-mg- Tablette eines Präparates verordnet wurde. Die geschlossene Frage zwingt aber zu einer raschen Antwort, was leicht dazu verleiten kann, dass der Patient ohne Rücksicht auf die Richtigkeit der Information antwortet.
  • Die rasche Aufeinanderfolge von Frage und Antwort bei geschlossener Fragetechnik führt zwar zu einer Beschleunigung des Gesprächsablaufs. Dieser Vorteil der Zeitersparnis wird jedoch dadurch relativiert, dass der Fragende gezwungen wird, rasch immer neue Fragen zu formulieren. Es entwickelt sich dann leicht eine Technik des Fragens um des Fragens willen, statt dass das Problem durch überdachte, das Gespräch vertiefende Fragen eingekreist wird. Dadurch kann auch das aktive Zuhören entscheidend beeinträchtigt werden. In Akut- und Notfallsituationen ist die geschlossene Fragetechnik natürlich unerlässlich, um möglichst innerhalb kurzer Zeit die wichtigsten Informationen zu erhalten. Geschlossene Fragen dienen daher im wesentlichen dem raschen Sammeln von Fakten, der schnellen Orientierung oder der punktuellen Klärung eines Problems. Sie sind weniger geeignet, eine Aussprache in Gang zu setzen, eine Thematik in verschiedenen Dimensionen aufzurollen oder Kontakt aufzubauen oder zu verstärken.


Offene Fragen

Offene Fragen ermöglichen es dem Patienten, mit eigenen Worten zu schildern, was ihn bewegt oder belastet. Der Spielraum für Kontakt und Selbstdarstellung wird deutlich erweitert. Offene Fragen wirken gleichzeitig ermutigend, sie regen den Patienten an, sich zu öffnen und in freier Darstellung über seine Probleme zu sprechen. Offene Fragen sind auch geeignet, Prozesse der Selbsterkenntnis anzustoßen. Lernpsychologische Erfahrungen haben gezeigt, dass die effektivste Form des Lernens darin besteht, Sachverhalte anderen zu erklären. Freies Sprechen über die eigenen Probleme und der Versuch, sie dem Gesprächspartner Nahezubringen, bewirken auch eine verstärkte Auseinandersetzung mit Konfliktstoffen und ermöglichen damit eine bessere Bewältigung von Problemen. Offene Fragen ermöglichen es dem Arzt eher, dem Patienten Interesse und Zuwendung zu signalisieren.

Die Überlegenheit der offenen Frageform (O) gegenüber der geschlossenen Fragetechnik (G) zeigen einige Beispiele:

Die Frage: "Das Arbeitsklima beeinflusst manche Menschen ganz erheblich, wie ist Ihre Ansicht?" (O) wird einen Patienten eher dazu bringen, über Probleme am Arbeitsplatz zu sprechen, als die geschlossene Frage: "Sind Sie bei Ihrem Chef beliebt?"

Die Frage: "Sind Sie verzweifelt, weil das Medikament nicht gewirkt hat?" (G) ist sicherlich weniger geeignet, eine offene Aussprache mit dem Patienten über das Ausmaß seiner Verzweiflung in Gang zu setzen, als die Frage: "Es interessiert mich sehr, wie Sie das Ergebnis der bisherigen Behandlung sehen?"

Die Frage: "Haben Sie denn keine Lust mehr am Leben?" (G) wirkt wahrscheinlich blockierend. Mit folgender Frage lässt sich das Thema besser anschneiden: "Die letzten Monate waren bestimmt sehr schwierig für Sie. Wie sehr hat Sie das alles belastet?" (O)

Die offene Fragetechnik hat im wesentlichen 2 Nachteile: Einmal erleichtert sie es den Patienten, unangenehme Themen zu umgehen, 2. begünstigt sie thematische Abschweifungen.

Ein typisches Beispiel aus der täglichen Praxis:
Frage: "Was verstehen Sie darunter, dass Sie die Tabletten ‘nicht vertragen‘?" Antwort: "Ich fühle mich einfach komisch danach. Gestern Abend habe ich die letzte Tablette vor der Tagesschau genommen. Beim Wetterbericht konnte ich mich gar nicht mehr richtig konzentrieren. Das Konzentrieren fällt mir überhaupt in der letzten Zeit immer schwerer. Vor allem mit den Namen habe ich Probleme. So habe ich vor ein paar Tagen meinen alten Klassenlehrer getroffen. Ich glaube, es war in der Nähe vom Marktplatz, mir ist der Name überhaupt nicht eingefallen. Dabei war er so ein netter Mensch, hat mir immer gute Noten gegeben, obwohl ich eigentlich ein schlechter Schüler war. Meinen Bruder konnte er allerdings nicht so gut leiden, der hat immer die Fünfen und Sechsen bekommen ... usw. ... usw."

Es ist durchaus legitim, bei einer derart thematisch abdriftenden Antwortenkaskade den Patienten mit einer direkten geschlossenen Frage auf das ursprüngliche Thema zurückzubringen: "Mussten Sie nach der Tablette, die Sie vor der Tagesschau genommen haben, brechen?"
 

W-Fragen,

d.h. Wann-, Was-, Wer-, Wie-, Wo-Fragen werden auch als sondierende Fragen, Ergänzungsfragen oder halbstrukturierte Fragen bezeichnet, weil sie eine Mittelstellung zwischen geschlossenen und offenen Fragen einnehmen. W-Fragen eignen sich sowohl zur Einleitung eines Themas als auch zur Vertiefung bestimmter Punkte.
 

Sondierungsfragen

Sondierungsfragen werden gestellt, um spezifische Informationen vom Patienten zu erhalten. Sie erlauben es, dem Patienten in freier Schilderung zu antworten, steuern aber gleichzeitig dem Abschweifen vom Thema entgegen.

Beispiel: Ein 52jähriger Patient klagt über "einen Druck in der Brust", ist jedoch nicht in der Lage, den Auslösemechanismus klar zu schildern. Auf die Frage: "Treten die Beschwerden in Ruhe oder unter Belastung auf?", kann er nur unbefriedigend antworten: "Im Büro, glaube ich, kriege ich die Beschwerden öfters." Was heißt das? Ist der Patient im Büro emotionell stärker belastet als zu Hause? Hat er dort Ärger mit Kollegen oder beim Publikumsverkehr? Belastet er sich auch bei der Bürotätigkeit körperlich, weil er beispielsweise Aktenpakete herumtragen muss?

Mit Sondierungsfragen kann versucht werden, mehr Klarheit zu schaffen: "Schildern Sie mir Ihre Tätigkeit im Büro genauer. Treten die Beschwerden auch beim Tennisspielen auf? Sind Sie schon einmal nachts mit derartigen Beschwerden aufgewacht?
 

Katalogfragen

Kann durch offene Fragen keine genügend klare Information gewonnen werden, so können Katalogfragen eingesetzt werden. Sie bieten dem Patienten eine Anzahl von alternativen Eigenschaftswörtern oder Beschreibungen zur Auswahl an.

Beispiel: Ein Patient ist nicht in der Lage, seine Magenbeschwerden genauer zu beschreiben. Durch Katalogfragen wie: "Sind die Beschwerden in der Magengegend drückend, brennend, krampfartig oder bohrend?" oder: "Bekommen Sie die Beschwerden vor, während oder nach dem Essen oder nur zwischen den Mahlzeiten?" können wahrscheinlich gezieltere Informationen gewonnen werden.

Der Nachteil der Katalogfragen liegt darin, dass sie dem Patienten nur eine begrenzte Auswahl an Möglichkeiten anbietet, von denen keine auf ihn zutreffen muss.
 

Konfrontationsfragen

Konfrontationsfragen halten dem Patienten sein Verhalten, seine Gefühle oder seine früheren Aussagen entgegen. Sie sind geeignet, seine Aufmerksamkeit auf sich selbst zu richten, ihn auf Widersprüche hinzuweisen oder sie aufzulösen.
Beispiele:
"Sie sagen, dass Sie Ihre Hochdrucktabletten regelmäßig einnehmen, sich aber am wohlsten fühlen, wenn Sie sie weglassen?"
"Glauben Sie, dass es vor allem an den Ärzten liegt, wenn ein Patient den Arzt häufiger wechselt?"
 

Reflexionsfragen (Echofragen)

Die Reflexionsfrage wiederholt einen Teil dessen, was der Patient gesagt hat. Sie ist sozusagen ein "Echo" seiner Ausführungen und soll ihn anregen, das angeschnittene Thema zu überdenken und es weiter zu vertiefen.
Beispiele:
"Seit Ihrer Ehescheidung trinken Sie mehr als früher?"
"Die ganze Nacht liegen Sie wach?"
 

Interpretationsfragen

Interpretationsfragen enthalten Schlussfolgerungen, die aus den Aussagen des Patienten und aus seinem Verhalten gezogen werden.
Beispiel: "Wollen Sie damit sagen, dass Ihnen geschäftliche Erfolge im Augenblick wichtiger sind als gut eingestellte Blutzuckerwerte?"
Da Interpretationsfragen meist einen wertenden Charakter haben, sollten Sie nur sparsam eingesetzt werden.
 



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Unproduktive Fragen
Bestimmte Fragetechniken sind zwar beliebt, aber wenig produktiv. Meist entspringen sie der Ungeduld des Fragenden. Die dadurch gewonnenen Informationen haben häufig einen zweifelhaften Wert. In diese Gruppe von Fragen gehören Suggestiv-, Doppel- und Mehrfach- sowie Überfallfragen.
 

Suggestivfragen

"Haben Sie nach der Einnahme der neuen Tabletten Übelkeit bemerkt?" Suggestivität erhöht die Quote der Patienten, die Übelkeit angeben, mit Sicherheit. Die neutral formulierte Frage: "Wie haben Sie die neuen Tabletten vertragen?" führt zu besser verwertbaren Antworten.

Hinter Suggestivfragen verbergen sich oft Vorurteile des Fragestellers (das Medikament XY ruft häufig Übelkeit hervor) oder Wunschdenken (Wirkt die neue Schlaftablette nicht viel besser?).

Die Abneigung, sich auf unangenehme Gesprächsinhalte einzulassen, steht ebenfalls häufig hinter Suggestivfragen. Die Frage: "Geht es Ihnen heute nicht schon viel besser?" übt auf einen Patienten, der sich eigentlich schlechter fühlt, unterschwellig Druck aus und führt zu Antworten wie: "Vielleicht ein bisschen", was es wiederum dem Arzt erlaubt, zur Tagesordnung überzugehen. Das Gespräch wird zwar oberflächlich geglättet, und Unangenehmes kommt nicht zur Sprache, aber das tatsächliche Resultat sind Gesprächsdefizite und ein unbefriedigter Patient.

Suggestivfragen sind daher zur Problemerkennung und -lösung wenig geeignet. Sie können in Ausnahmefällen eingesetzt werden, beispielsweise, um einen Patienten zu ermuntern, dem es schwer fällt, eine objektive Besserung zu realisieren.

Beispiel: "Haben Sie nicht selbst gemerkt, um wie viel besser Sie seit zwei Tagen gehen können?"
 

Doppel- und Mehrfachfragen

Sie entspringen meistens der Ungeduld oder dem Ungeschick des Fragestellers. Der Arzt nimmt sich nicht genug Zeit, um zwei unterschiedliche Fragenkomplexe auch in zwei getrennten Fragen anzusprechen. Die Beantwortung der Frage: "Haben Sie noch Bauchschmerzen, und ist der Stuhl noch schwarz?" wird vielen Patienten Schwierigkeiten bereiten, weil sie ungeübt sind, in einer Antwort auf zwei Fragen einzugehen, d.h. beispielsweise zu antworten: "Ich habe noch leichte Magenschmerzen, aber der Stuhl ist nicht mehr schwarz."

Wahrscheinlich bleibt der Patient am 1.Teil der Frage hängen, so dass der Arzt die 2. Frage doch wiederholen muss. Selbst bei geübten Diskussionsrednern erlebt man es immer wieder, dass ihnen die 3. von 3 in Zusammenhang gestellten Fragen nach Beantwortung der beiden ersten nicht mehr einfällt. 2 oder gar mehrere Fragen sollten daher nicht in einen Satz gepfercht, sondern einzeln gestellt werden. Die Antworten fallen präziser aus, und das Gespräch wird dadurch im allgemeinen nicht länger.
 

Überfallfragen

Mit der Tür ins Haus zu fallen, ist in Gesprächen zwischen Arzt und Patient meist ungünstig, von den wenigen Fällen abgesehen, wo eine bewusste Überrumpelung möglicherweise die Wahrheit näher bringt. Überfallfragen signalisieren Ungeduld, Unhöflichkeit oder Unfähigkeit, sich einzufühlen, und lösen häufig Abwehr und Aggressivität aus oder führen zu Antworten, denen man mit Misstrauen begegnen sollte.

Kein Bankbeamter wird einem Kunden, der ihm nicht besonders kreditwürdig erscheint, als erstes die Frage stellen: "Glauben Sie denn, dass Sie das Geld überhaupt zurückzahlen können?" Die Überfallfrage: "Schlagen Sie Ihre Tochter manchmal?" ist sicher kein geschickter Einstieg in das Thema. Antworten auf schwierige oder peinliche Fragen können durch einen vorgeschalteten Satz besser gebahnt werden.

Beispiel: "Kinder können auch die sanftmütigsten Eltern manchmal so provozieren, dass die Hand ausrutscht. Ist Ihnen das bei Ihrer Tochter auch schon einmal passiert?"
 



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Verbotene Fragen
Im Gespräch zwischen Arzt und Patient gibt es eine Reihe von Fragen, die nicht nur nicht gesprächsfördernd, sondern meistens gesprächshemmend sind, weil sie die Autonomie des Patienten nicht berücksichtigen, Empathie nicht erkennen lassen, häufig überheblich wirken und meist nur das Imponiergehabe des Fragenden stützen. Sie werden daher unter der Rubrik "Verbotene Fragen" zusammengefasst. Zu ihnen zählen Fangfragen, Neugierfragen, sokratische Fragen, wertende Fragen, aggressive Fragen und Floskelfragen.
 

Fangfragen

Fangfragen stellen den Versuch dar, den Befragten zu überfahren oder zu übertölpeln. Ein klassisches Beispiel ist die Frage des Scheidungsrichters an den Angeklagten: "Haben Sie, nachdem Sie Ihre Frau geschlagen haben, Alkohol getrunken oder nicht?" Der Angeklagte, der seine Frau nie geschlagen hat, wird natürlich, gleichgültig, ob er Ja oder Nein sagt, in beiden Fällen die Tat zugeben. Eine typische medizinische Fangfrage wäre: "Haben Sie an den Tagen, wo Sie Ihre Zuckertabletten weglassen, mehr oder weniger Durst?"
 

Neugierfragen

Unerlaubt sind auch reine Neugierfragen, die lediglich den Fragenden befriedigen, den Gesprächsgegenstand jedoch nicht vertiefen und nicht selten den Befragten beschämen oder das Klima eines Verhörs heraufbeschwören.

Beispiel:
Arzt: "Ihre Potenzschwierigkeiten bestehen schon seit ein paar Jahren?"
Patient: "Ja."
Arzt: "Macht Ihnen das viel aus?"
Patient: "Natürlich."
Arzt: "Und wie reagiert Ihre Frau darauf?"
Patient: "Darüber möchte ich am liebsten nicht reden."
Arzt: "Hat Sie Ihnen schon mal Vorwürfe gemacht?" usw.
 

Sokratische Fragen

Sogenannte sokratische Fragen dienen meistens lediglich der Selbstbeweihräucherung des Fragestellers und führen zu einer ausgeprägten Asymmetrie im Gespräch. Es handelt sich um Fragen, bei denen der Fragende weiß, dass der Befragte sie nicht beantworten kann. Sokrates verstand es bekanntlich, durch seine Fragen seinen Mitbürgern klar zu machen, dass sie in Wirklichkeit nichts wussten, obwohl sie glaubten, etwas zu wissen.
 

Wertende Fragen

Unangebracht sind wertende Fragen, denn sie haben meist abwertenden Charakter. Häufig handelt es sich um Warum-Fragen.

Beispiele: "Warum sind Sie so unvernünftig und trinken so viel Flüssigkeit, obwohl ich es Ihnen verboten habe?" (Statt: "Weshalb fällt es Ihnen so schwer, sich an die Trinkmenge zu halten, die ich Ihnen vorgeschlagen habe?") Oder: "Warum haben Sie eine so negative Einstellung zu Ihrer Krankheit" (Statt: "Warum fällt es Ihnen so schwer, zu glauben, dass die Chancen für eine Besserung bei Ihnen recht günstig sind?"

Der wertende Ton treibt den Patienten in die Defensive. Weil er gezwungen wird, sich zu verteidigen, läuft er Gefahr, statt der wirklichen Gründe vorgeschobene ins Feld zu führen.
 

Aggressive Fragen

Aggressive Fragen werden häufig mit dem Ziel gestellt, durch Druck den Patienten zu einer bestimmten Verhaltensweise oder Handlung zu bewegen. Sie erreichen meist das Gegenteil dessen, was sie bezwecken sollen, nämlich den Patienten zu motivieren.

Die Frage: "Wollen oder können Sie nicht verstehen, dass diese Operation für Sie nützlich ist?" wird kaum einen Patienten von der Notwendigkeit eines noch so sinnvollen operativen Eingriffs überzeugen.
 

Floskelfragen

Floskelfragen wirken schematisch, klischeehaft und unecht. Sie erzeugen beim Patienten kaum das Gefühl, dass der Arzt sich ernstlich für sein Problem interessiert. Oberflächlich gestellt, zielen sie letztlich auch darauf ab, nur oberflächlich beantwortet zu werden. Obwohl sie das Gespräch leidlich am Laufen halten, sind sie dennoch Gesprächsstörer, da sie jeden Tiefgang blockieren. Hierher gehören Fragen wie: "Kommen Sie einigermaßen zurecht?", "Wie haben wir`s denn?", "Gibt`s was Besonderes?" usw.

Natürlich kann nicht jede Frage im Gespräch zwischen Arzt und Patient auf die Goldwaage gelegt werden. Darunter würde die freie Entfaltung des Gesprächs leiden. Entscheidend ist zunächst, sich klar zu machen, was die einzelnen Fragetechniken zu leisten oder nicht zu leisten vermögen, welche Fragetechnik in welcher Gesprächssituation am günstigsten ist und welche unbedingt vermieden werden soll. Es handelt sich demnach um einen Prozess des bewussten Umlernens der Gesprächsführung.

Beginnen Sie zunächst damit, Ihre Gespräche mit Patienten daraufhin zu analysieren, welche Fragetechniken Sie bevorzugt verwenden und welche Sie weitgehend vermeiden.
 
 

 Fragetechniken
Fragetechnik
Charakteristikum
Bedeutung
A. Geeignete Fragetechniken
geschlossene (strukturierte Fragen) (Entscheidungsfragen) nur mit Ja/Nein zu beantworten Vorteil: rascher, gezielter Informationsgewinn, kein "Ausufern" Nachteil: wenig zur Gesprächseröffnung und -vertiefung geeignet; Gefahr pseudopräziser Antworten
offene (nicht strukturierte) Fragen Antwort frei formulierbar Vorteil: geeignet zur Gespächseröffnung und -vertiefung; aufschließend, ermutigend, kontaktfördernd Nachteil: thematisches Abweichen und Ausufern
W-Fragen (wann, was, wo, wer, wie?) halbstrukturierte gezielte Fragestellung geeignet zur Verdeutlichung bestimmter Punkte
Sondierungsfragen eng umschriebene Fragestellung freie Schilderung eines umschriebenen Sachverhalts
Konfrontationsfragen Entgegenhalten früherer Aussagen  Aufzeigen und Auflösen von Widersprüchen 
Reflexionsfragen "Echo"-Fragen Vertiefung eines angeschnittenen Themas
Interpretationsfragen Schlußfolgerungen enthaltende Frage Problemverdeutlichung; da wertend, nur sparsam zu verwenden
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 Fragetechniken
Fragetechnik
Charakteristikum
Bedeutung
B. Ungeeignete Fragetechniken
1. Unproduktive Fragen
Suggestivfragen Vorwegnahme der Antwort zur Problemlösung kaum geeignet, ausnahmsweise  zur Ermutigung; Wurzeln: Vorurteile, Wunschdenken
Doppel-(Mehrfach-)fragen Erwartung gleichzeitig mehrerer Antworten Überforderung des Gesprächspartners; Wurzeln: Ungeduld, Zeitdruck
Überfallfragen Überrumpelungstechnik Gefahr: Aggressionen und unzutreffende Antworten
2. Verbotene Fragen
Fangfragen Absicht: Hereinlegen des Gesprächspartners für alle gilt:
Neugierfragen Neugierde einzige Triebfeder der Fragestellung Vernachlässigung
sokratische Fragen Unbeantwortbarkeit als Absicht von Empathie
Wertungsfragen Vorwegnahme von Wertungen und Wertschätzung,
Aggressionsfragen Frage beinhaltet (persönlichen) Angriff Asymmetrie,
Floskelfragen oberflächliche Klischeetechnik Gesprächshemmung


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Der Patient fragt
Gespräche zwischen Arzt und Patient, in denen der Patient keine Fragen stellt, sind selten gute Gespräche. Denn natürlich steht dem Patient das Recht, zu fragen, genauso zu wie dem Arzt. Er hat auch das Recht, alles zu fragen, denn "überflüssige" Fragen erweisen sich bei genauem Zuhören häufig als keineswegs überflüssig. Im Gegenteil: Nicht selten enthalten sie in verschlüsselter Form Fragestellungen, die den Patienten besonders bewegen.

Der Arzt muss sich im Gespräch mit seinem Patienten auch immer Klarheit darüber verschaffen, warum ein Patient fragt, warum er gerade jetzt diese Frage stellt oder warum er nicht fragt.

Es gibt viele Gründe, warum ein Patient Fragen stellt: Die Frage kann einfach seinem Informationsbedürfnis entspringen. Der Patient kann fragen, weniger um eine Antwort, als vielmehr Zuwendung zu bekommen. Bei der Frage kann es sich einfach um einen Hilferuf handeln. Die Frage kann ein Signal der Angst, Verzweiflung oder Hoffnungslosigkeit sein. Die Frage kann als Vehikel dienen, das einen sonst nicht verbalisierbaren Inhalt zum Empfänger "transportiert".

Der Patient, der fragt, ist kein Bittsteller. Er verstößt gegen alle Prinzipien der Wertschätzung und der partnerschaftlichen Arzt-Patienten-Beziehung, Patientenfragen unvollständig, ausweichend oder gar nicht zu beantworten. Dieses selbstverständliche Postulat wird im klinischen Alltag keineswegs immer beherzigt.

In einer vielbeachteten Untersuchung hat D.L. ROSENHAN, Professor für Psychologie an der Stanford University, die Reaktion von Ärzten und Pflegepersonal auf Fragen von Patienten analysiert. Im Rahmen dieser Untersuchung wurden 8 geistig völlig gesunde Menschen als Scheinpatienten in12 verschiedene psychiatrische Kliniken der Vereinigten Staaten eingeschleust, nachdem sie vorgegeben hatten, Stimmen zu hören. Während des stationären Aufenthaltes verhielten sie sich völlig unauffällig. In 4 Kliniken wandten sich die Scheinpatienten mit alltäglichen Fragen an Ärzte oder Schwestern (z.B.: "Darf ich heute Nachmittag im Garten spazieren gehen?"). Auch wenn sich die Ereignisse aus psychiatrischen Kliniken nicht verallgemeinern lassen, so sind die Ergebnisse doch wenig ermutigend: 71% der Ärzte gingen an den Fragestellern mit abgewendetem Kopf vorbei, 23% nahmen Augenkontakt auf, 2% hielten kurz inne und plauderten, und nur 4% blieben stehen und führten ein Gespräch. Schwestern und Pfleger schnitten bei dem Test noch schlechter ab.

Aktives Zuhören ist die beste Methode, um herauszufinden, welche Frage sich in Wirklichkeit hinter der gestellten Frage verbirgt. Ein Patient, der fragt: "Bekomme ich morgen wieder eine Infusion?", wird wahrscheinlich nur ausnahmsweise als Antwort ein kurzes Ja oder Nein erwarten. Denn hinter der Frage steht seine eigentliche Frage: Wie lange dauert die Behandlung noch? Wie erfolgreich war sie bisher? Kann ich auf Besserung hoffen?

Manche Fragen sind ihrem Wesen nach "Stellvertreterfragen". Eine Frage wird anstelle einer anderen Frage gestellt, z.B. weil der Patient sich scheut, ein Problem direkt anzusprechen. Hinter der Frage eines Asthmatikers: "Muss ich für den Rest meines Lebens Kortison einnehmen?" steht in Wirklichkeit wahrscheinlich die Frage: "Ist mein Asthma heilbar?" Liegt die Vermutung nahe, dass es sich um eine solche Stellvertreterfrage handelt, so sollte die wahrscheinlich dahinter stehende Frage im Sinne der Metakommunikation offen angesprochen werden ("Ich habe den Eindruck, dass Sie mir diese Frage aus einem besonderen Grund stellen. Trifft das zu?").

Patienten können durch Wiederholen der gleichen Frage ihren Arzt in milde Verzweiflung stürzen. In diesem Fall ist es entscheidend, herauszufinden, welche Gründe es dafür geben kann, dass ein Patient immer wieder die gleiche Frage stellt. Erwartet er eine andere Antwort, als er sie bekommen hat, weil er die Antwort nicht verarbeiten oder akzeptieren kann? Sind Ängste das hintergründige Motiv des wiederholten Fragens? Steckt hinter den wiederholten Fragen der Wunsch nach ständig erneuter Bestätigung, dass alles nicht so schlimm, gefährlich oder aussichtslos ist? Fragt der Patient deshalb immer wieder, weil die Antwort des Arztes in dessen Wirklichkeit zwar richtig ist, nicht aber in derjenigen des Patienten?

Patienten, die mit einem mehr oder minder umfangreichen, meist handgeschriebenen Fragezettel in die Sprechstunde kommen, lösen in der Regel innere Stoßseufzer aus. Das Auflisten von Symptomen und Beschwerden wird häufig als Ausdruck einer psychopathischen Grundhaltung gewertet. Französische Kliniker haben dafür einen eigenen Ausdruck geprägt: La maladie du petit papier. Warum neigen Ärzte dazu, auf handgeschriebene Fragezettel negativ zu reagieren? Der Patient tut nur, was ihm zusteht: Er hat eine Reihe unklarer Punkte, die ihm wichtig erscheinen, und wendet sich damit an seinen Arzt. Er verwendet eine Gedächtnisstütze, um möglichst keine Frage zu vergessen. Letztlich stellt der Fragezettel den Versuch des Patienten dar, seine Probleme und Symptome mit einer gewissen Systematik vorzutragen.

In den USA wurde das Phänomen des Patienten, der mit einem Fragezettel in die Sprechstunde kommt, systematisch untersucht. J.S. BURNUM hat in einer prospektiven Studie an 900 Patienten einer internistischen Praxis die Bedeutung des Fragezettels untersucht(1985). 72 der Patienten (8%) kamen mit einem Fragezettel in die Sprechstunde. Die Listen enthielten 5 - 6 Punkte, die längste Liste 20 Punkte. Sie stammte von einem psychisch völlig stabilen leitenden Angestellten. Die Fragen unterschieden sich vom Inhalt her nicht von den Fragen, die sonst im ärztlichen Gespräch gestellt werden. Gerade weil die Fragen vielfach komplex, aber auch systematisch gestellt wurden, bedurften sie einer sorgfältigen methodischen Beantwortung. Bei unvoreingenommener Betrachtung erwiesen sie sich als deutliche diagnostische Hilfe. Nur einer der 72 Patienten brachte den Untersucher durch immer neue, ausufernde Fragelisten an den Rand seiner Geduld. Für dieses Phänomen hat der Autor die schöne Bezeichnung "Polonius Syndrom" in Anlehnung an die Figur des Polonius im Hamlet geprägt. BURNUM kommt in seiner Untersuchung zu dem Schluss, dass das Schreiben von Fragezetteln keine Krankheit für sich darstellt und die Schreiber in der Regel psychisch nicht krank sind. BURNUM: "Das Anhören eines Fragezettels ist nichts anderes als ein Teil des Zuhörens, der Schlüssel unseres Handwerks. Was immer dem Patienten hilft, sich auszudrücken, und dem Arzt hilft, den Patienten zu verstehen, ist akzeptabel."

Das einmalige geduldige Durchgehen des Fragezettels hat meist einen deutlich entlastenden Effekt für den Patienten und spart indirekt Zeit, weil die unzusammenhängende, unsystematische Besprechung von Problemen meist zeitraubender und unergiebiger ist. Ausuferndes Fragen lässt sich eindämmen, indem man dem Patienten im Gespräch ein klares, begrenztes Angebot unterbreitet und beispielsweise fragt: "Was sind die zwei wichtigsten Punkte, die Sie mit mir besprechen wollen?"

Ein Patient der keine Gegenfragen stellt, sollte seinen Arzt misstrauisch stimmen. Was Ärzte ihren Patienten sagen, ist in der Regel weder sprachlich noch vom Inhalt her so unmissverständlich, dass keine Gegenfragen auftauchen. Es gibt verschiedene Gründe, warum ein Patient keine Fragen stellt: Vielleicht spricht der Arzt mit ihm über etwas, das mit dem wirklichen Problem des Patienten nichts zu tun hat? Vielleicht drückt er sich so unverständlich aus, dass der Patient es nicht wagt, durch eine Gegenfrage zu zeigen, wie wenig er verstanden hat, besser gesagt, verstehen konnte? Vielleicht ist das, was der Patient von seinem Arzt erfährt, für ihn so schwerwiegend oder beeindruckend, dass er im Augenblick gar nicht imstande ist, eine Gegenfrage zu formulieren?

Es gibt daher gute Gründe, Patienten zum Fragen aufzufordern. Diese Aufforderung hat Kontrollfunktion: Hat der Patient verstanden, worum es geht? Gibt es hemmende oder blockierende Einflüsse, die den Patienten am Fragen hindert? Haben sich Missverständnisse im Gespräch eingeschlichen? Geht es Arzt und Patient überhaupt um die gleiche Sache?
 

Checkliste: Zum Frageverhalten des Patienten
  1. Warum fragt der Patient wirklich (Informationsbedürfnis, Suche nach Zuwendung, Kritik, Hilferuf)?
  2. Warum fragt er gerade jetzt diese Frage?
  3. Handelt es sich um eine Frage hinter der Frage?
  4. Warum wiederholt der Patient eine Frage immer wieder?
  5. Warum fragt der Patient nicht (Angst, Zeitdruck, Sprachbarriere, verschiedene Wirklichkeiten)?
  6. Wurde der Patient ausreichend stimuliert, selbst zu fragen?
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Linus Geisler: Arzt und Patient - Begegnung im Gespräch. 3. erw. Auflage, Frankfurt a. Main, 1992
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Autorisierte Online-Veröffentlichung: Homepage Linus Geisler - www.linus-geisler.de

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